Baustellen-Coach Michael Steinbauer hat selbst jahrelang auf dem Bau gearbeitet, Baustellen geleitet. In seinen Kursen und Vorträgen kann er also auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen. In dieser Ausgabe findet sich statt seiner regelmäßigen Kolumne eine beispielhafte Betrachtung, wie Baustellen richtig abgesichert werden.

Rückwirkend betrachtet, ist es ein großes Geschenk, dass ich vor über dreißig Jahren ganz unten in der Hierarchie auf den Baustellen begonnen habe. Die Entwicklung zum übergeordneten Baustellenleiter hat mir alle Blickwinkel der Baustellen-Beteiligten nähergebracht. Und da sind wir schon mittendrin in der Arbeitssicherheit.
In der ersten Phase, als irgendein Baustellenmitarbeiter von vielen, ist der Blickwinkel nur auf die eigene Arbeit und die eigenen Interessen gerichtet. Es geht darum, nicht im Fokus zu stehen, wenn es um Zeitverzug, Behinderungen oder sonstige außertourliche Anomalien geht. Die Maxime lautet, Auftrag bekommen und diesen so schnell wie möglich abarbeiten, damit der maximale Gewinn mitgenommen werden kann. Da ist kein Platz für Arbeitssicherheit, denn diese verursacht nur zusätzliche Kosten und stiehlt Zeit, die viel besser in der Projektabarbeitung investiert ist. Außerdem ist das sowieso alles übertrieben mit der Arbeitssicherheit. Wo gehobelt wird, da fallen nun mal auch Späne. Wir passen schon auf. Ist bis jetzt ja auch nix Ernstes passiert und wir machen das schon so viele Jahre.
Erst als ich selbst in eine Führungsposition kam und für eine Baustelle und eine Mannschaft verantwortlich war, bekam der Sicherheitsgedanke einen ganz anderen Stellenwert. Plötzlich ging es darum, alles dafür zu tun, damit niemandem etwas passiert. Jetzt konnte ich es kaum verstehen, dass die Leute sich so gegen Sicherheitsmaßnahmen wehrten. Schließlich wollte ich doch nur für alle das Beste. Damals kreierte ich mein
Credo: Wir wollen Baustellen nicht mit Blut bezahlen.
Schlimm daran ist, dass dies jene Menschen, die es betrifft, also die Mitarbeiter auf der Baustelle, oft nicht so wichtig erscheint. Dabei wollen wir gerade diese schützen. Teilweise herrscht eine regelrechte Abneigung gegen Arbeitssicherheit. Es wird als zu übertrieben empfunden und wer möchte sich schon ständig sagen lassen, wie er sich zu verhalten hat? Ich denke, im zweiten Punkt liegt sehr viel Potential, um die Arbeitssicherheit auf den Baustellen zu erhöhen.
In dieser Ausgabe geht es um die Absicherung der Baustelle. Ein wunderbares Beispiel, wie Arbeitssicherheit auf die leichte Schulter genommen wird. Denn geht es um die Helmpflicht, kann ich das ganz schnell de-
monstrieren, warum diese notwendig ist. Zu meiner Zeit gab es eine Kopfnuss, wenn ich ohne Helm angetroffen wurde. Können Sie heute nicht mehr machen, aber es gibt auch andere Möglichkeiten der Bewusstseinsbildung. Bei Absicherungen sieht es schwerer aus, da es sich meist um einen allgemeinen Schutz handelt, der nicht sofort als ein persönlicher Vorteil für mich wahrgenommen wird. Wir lassen hier auch einmal all die gesetzlichen Regelungen außer Acht. Denn würden sich alle nach den Regeln richten, bräuchten Sie diesen Artikel nicht zu lesen.
Lassen Sie mich ein Beispiel aus der Praxis bringen, dass das Thema Absicherung gut beschreibt. Es geht jetzt nicht um das Thema, sondern um die Gedanken und Maßnahmen dazu. Sie können das auf jede andere Baustelle und auf jede andere Situation übertragen.
Sehen Sie sich dazu das Bild an. Hier wurde im Baufeld eine notwendige 20kV Leitung aktiviert. Das diese unbedingt zu schützen ist versteht jeder, der schon einmal gesehen hat, wie eine aktive 20.000 Volt mit der Baggerschaufel gekappt wurde. Die erste Maßnahme war also, die Stelle sofort zu beschriften. Sie sehen das Schild, das direkt an der Steigleiter angebracht wurde. Die Frage, die sich bei der Arbeitssicherheit nun stellt: Habe ich alles mir Mögliche getan, um Verletzungen eines Baustellen-Mitarbeiters auszuschließen?
Im ersten Moment könnte man das mit ja beantworten. Jeder weiß nun, das ist ein aktives Hochspannungskabel. Also, Abstand halten, nicht dran rumbasteln. Zum Glück haben die meisten Menschen Angst vor Strom, das ist schon einmal hilfreich. Bei näherer Betrachtung und etwas nachdenken kamen wir zu dem Schluss, dass hier nicht alles getan wurde, um Unfällen vorzubeugen. Zwar ist das Kabel isoliert, beschriftet und mit einem Warnschild versehen. Aber das verhindert nicht, dass doch wieder einer kommt und mal ganz schnell, so zwischendurch, nur etwas an der Steigleiter arbeiten möchte.
Da waren sie wieder, die zwei bösen Wörter: nur und schnell. Die häufigsten Rechtfertigungen nach einem Unfall. Ich wollte doch nur noch schnell … Also haben wir beschlossen, dass es wesentlich sicherer ist, den Bereich grundsätzlich abzusperren. Es hat niemand mehr an dieser Trasse zu arbeiten. Muss er doch, dann wird das im Vorfeld besprochen, geplant und überwacht.
Wichtiger Gedanke beim Absperren: Es darf nicht einfach möglich sein, die Absperrung zu umgehen. Ein rot-weißes Absperrband hätte uns jetzt an dieser Stelle nicht genügt. Denn eines habe ich in Amerika von den Arbeitssicherheitskollegen gelernt: Die Menschen werden das tun, was sie tun können. Sperren Sie also einen Bereich nur mit einem Absperrband ab, dann kann man ganz leicht drüber oder drunter durchsteigen. Stellen Sie einen ein Meter hohen Zaun hin und man kann darübersteigen, wird jemand darübersteigen.
Also haben wir den Gefahrenbereich eingezäunt und geklammert. Sollten Sie jetzt auf die Idee kommen und sagen, ja, aber die Klammern kann man doch entfernen und sich trotzdem Zutritt verschaffen, dann haben Sie recht. Aber dann handelt es sich bereits um kriminelle Energie und wenn Sie solche Menschen in Ihrem Team haben, helfen Ihnen keine Vorschriften, keine Bitten, kein Drohen und keine Absperrungen. Das ist dann ein Führungsthema, wie Einschulung, Kontrolle, Konsequenzen. Dazu in meinen Seminaren mehr.
Jetzt haben Sie also die Gefahrenquelle beschriftet und den Zugang durch eine Absicherung geschützt. Die Frage, haben wir alles getan, was wir tun können, um einen Unfall zu verhindern? Die Antwort lautete so lange ja, bis jemand die Baustellensituation beobachtete und anmerkte, dass hier eine Menge Stapler, Manitous, Hebebühnen und Radlader unterwegs waren.
Jetzt wird es individuell, aber es zählt als Beispiel der Gedanke dahinter. Eine 20kV Leitung, diese darf nicht beschädigt werden. Drohender Produktionsausfall und im schlimmsten Szenario Verletzung von Menschen.
Wie aber wollen wir verhindern, dass da jemand dagegen fährt. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht groß. Stehen weiteren Maßnahmen in Relation? Hier greift ein Gedanke aus der Katastrophenforschung. Eine Katastrophe ist immer eine Verkettung von Umständen. Es ist nie die eine Sache, die passiert ist. Denken Sie an Flugzeugabstürze. Ein dramatisches Beispiel ist der Lauda-Air Absturz 1991 über Thailand. Es hatte sich bei einem Triebwerk die Schubumkehr eingeschaltet, was eigentlich unmöglich ist. Die Änderung die Boeing nach der Katastrophe einführte war, dass die Schubumkehr nur mit Bodenkontakt des Flugzeuges aktiviert werden kann. Mit viel Aufwand wurde damals mühsam rekonstruiert, welche Verkettung von Umständen zu diesem Unglück geführt hat.
Zurück zu unserem Beispiel. Natürlich fährt kein Stapler Amok in die 20kV Leitung. Aber es kann eine Verkettung von Umständen dazu führen. Vielleicht weicht jemand aus, um einen Zusammenprall zu verhindern, vielleicht fährt jemand rückwärts, vielleicht sieht er nicht richtig nach vorne, vielleicht fährt der Kollege ohne Erfahrung nur mal kurz und kann die Gabel vom Stapler nicht richtig einschätzen, vielleicht fällt Ware von Stapler, usw. Sie sehen, es gibt viele Szenarien.
Nachdem wir uns darüber Gedanken gemacht hatten und klar war, dass dies eine Katastrophe wäre, ließen wir einen Boller vor der Kabeltrasse anbringen. Im Bild der weiße Pfahl im Vordergrund.
Im letzten Schritt wurde der Zaun außen noch zusätzlich beschriftet, um das Warum zu klären. Auch das ist ein Geheimnis beim Umsetzen von Sicherheitsanweisungen. Geben Sie der Mannschaft ein Warum. Nur zu sagen, setz den Helm auf, reicht nicht. Sagen Sie stattdessen: „Setzt den Helm auf, denn wir haben hier noch Arbeiten über Kopf und jederzeit kann Dir etwas auf den Kopf fallen. Deine Kopfhaut ist sehr dünn und es blutet schon bei kleinen Verletzungen heftig. Bei größerer Einwirkung auf Deinen Kopf kann es ohne Helm auch zu bleibenden Schäden führen.“
Wenn Sie ein Warum an Ihre Anweisungen anhängen „Mach das bitte, weil …“ Dann haben Sie eine wesentlich höhere Chance der Akzeptanz Ihrer gewünschten Maßnahme.
Bleiben Sie stets wachsam,
herzlichst,
Ihr Baustellen Coach
Michael Steinbauer
FAZIT:
- Baustellenabsicherung ist schwerer zu vermitteln als persönliche Schutzausrüstung
- Als Führungskraft identifizieren Sie potenzielle Gefahrenquellen (der SiGeKo ist für Sie eine Hilfestellung, aber keine Ausrede, nicht selbst über die Baustelle zu gehen
und aktiv zu sein. In letzter Konsequenz ist es ist Ihre Verantwortung – Ihre Mannschaft) - Denken Sie mögliche Szenarien von potenziellen Gefahrenquellen durch: Absturzstellen, Gefahr von
oben, Gefahr durch Geräte, uvm. - Denken Sie daran: Ein Mensch wird das tun, was er tun kann.
- Ihre Motivation sollte sein: Wir wollen Baustellen nicht mit
Blut bezahlen!