Den Begriff Nachhaltigkeit benutzt Vitus Wuhrer nicht so gerne im Zusammenhang mit der Ausrichtung seines Unternehmens. Stattdessen spricht der Geschäftsführer von Edelrid, das in diesem Jahr seinen 160. Geburtstag feierte, lieber von Verantwortung, teilt er im Gespräch der Redaktion bei einem Besuch am Unternehmenssitz in Isny mit.
„Es geht darum, dass wir uns bewusst machen, was wir mit unseren Produkten anstellen“, sagt Wuhrer. Dabei geht es um Wissen, um Wissen auch hinsichtlich der Konsequenzen, die Herstellung und Nutzung und eben auch Entsorgung der Produkte mit sich bringen. „Und was wir da in Summe der Umwelt antun, das hat einfach mehr mit Verantwortung zu tun“, lautet seine Überzeugung.
Das Unternehmen hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, Ökobilanzen für dessen Produktlebenszyklen zu errechnen. Dabei wird unter anderem auf standardisierte Datenbanken zurückgegriffen und so kann gefiltert werden, welche Bereiche und Prozesse besonders bei der Herstellung eines Produktes welche CO2-Emmissionen generieren. „Anhand dieser Ergebnisse können wir dann auch entsprechend Maßnahmen ergreifen“, so der Geschäftsführer.
Schritt Richtung Nachhaltigkeit
Besonders im Seilbereich ist Edelrid da bereits weit voran gekommen. „Aufgrund dieser Erkenntnisse können wir dem Kunden ganz genau darlegen, dass sich, weil wir bei einem Produkt 50 Prozent recycelte Garne einsetzen, der CO2-Abdruck in der Herstellung um 19 Prozent reduziert“, erklärt Vitus Wuhrer. „Das ist für mich der erste Schritt in Richtung Nachhaltigkeit, dass man dieses Verständnis hat, wo kann man angreifen und im nächsten Schritt dann auch die Entwicklung dahin forciert.“ Dabei betrachtet er das Thema nicht als Last, zumal das Unternehmen ohnehin von Haus aus naturverbunden ist und daher Interesse an einer gesunden Umwelt hat.
Natürlich sei es auch ein Weg, gute bereits vorhandene Produkte immer weiter zu optimieren. Aber ein Aspekt ist eben auch, diese Produkte umweltverträglicher zu gestalten. „Das ist auch etwas, was Edelrid umtreibt, dieser Erfindergeist, der hier herrscht, dieses Tüfteln, das alles ist ja auch wieder eine Herausforderung für die Entwicklung“, sagt der Geschäftsführer. Das gilt nicht nur für Seile im Bergsportbereich, auch für die Professionals wird getüftelt. „Ist herkömmliches Polyamid und Polyester bei dynamischen und halbstatischen Seilen das Ende der Fahnenstange? Oder wird es dort beispielsweise auf Bio-Basis basierende Polymere geben, die man zukünftig einsetzen kann?“, lauten die aktuellen Überlegungen in Bereich Forschung und Entwicklung bei Edelrid.
Recycelte Seilmäntel
Edelrid bietet bereits Baumkletterseile wie das „Bucco“ und das „Jacamar“ mit komplett recycelten Seilmänteln aus Polyester an. Im Gegensatz zu Polyester ist das Recycling von Polyamid technisch jedoch sehr viel anspruchsvoller. Die Seile haben Normen zu erfüllen, denn schließlich hängen da Leben dran. „Wenn ein Polyamid geschreddert wird, verliert es seine Eigenschaften“, so Wuhrer, „ein Seil aus frischem Polyamid hat bei Weitem bessere Eigenschaften als ein recyceltes. Wir sind normgebunden, haben Sicherheitsvorschriften, daher war es uns bislang nicht möglich, im mechanischem Recycling-Verfahren wieder Seile herzustellen, die Vergleichbares leisten.“
Ausnahme ist bislang das Seil „Neo 3R“, dass allerdings ein dynamisches Seil für den Bergsport ist. Das hätte auch als zu 100 Prozent aus recyceltem Material produziertes Seil seine Aufgaben erfüllt, aber zum einen wäre die Produktion zu teuer geworden und zum anderen das Seil zu dick und damit zu schwer. „Daher haben wir uns für ein Seil mit 50 Prozent recyceltem Anteil entschieden“, sagt Wuhrer und lässt sich noch ein Versprechen entlocken: „Es wird in Zukunft auch Seile mit recyceltem Polyamidanteil in der Arbeitssicherheit geben.“
Verhältnis Seilkern zu Seilmantel
Auch über die Unterschiede der verschiedenen Seile kann Wuhrer aufklären. Die Farben haben dabei in der Regel keine besondere Bedeutung, „abgesehen von einigen Seilen, die besonders gut sichtbar sein müssen.“ Ansonsten sei die Farbkombination vorrangig ein Design-Thema. So seien gerade im Sportbereich schrille oder Neon-Farben absolut angesagt, im Professional Bereich hingegen gebe man sich eher bedeckt. „Grundsätzlich aber unterscheidet man Dynamikseile und halbstatische Seile. Dann gibt es Unterschiede im Durchmesser, je nach Anwendung, es gibt Unterschiede im Verhältnis Seilkern zu Seilmantel“, zählt er auf. Zum Beispiel werden für Dachdecker oder andere Bereiche, wo eine hohe Reibung auftreten kann, Seile mit größerem Seilmantelanteil angeboten.
Manche Seile gibt es in vielen verschiedenen Durchmessern und Farben. Als Beispiel nennt Wuhrer das Seil „Performance Static“. „Das Seil produzieren wir in verschiedenen Durchmessern von 9 bis 11 Millimetern in
0,5 Millimeter-Schritten und wir bieten es in vier verschiedenen Farben an.“ So wird das Seil je nach Einsatzgebiet und Kundenwunsch geliefert.
Aktuell beobachtet man seitens Edelrid auf dem Markt einen Trend zu „hitzebeständigen Seilen“. Allerdings sieht man seitens der Allgäuer das Thema etwas skeptisch und entsprechend ist man diesem auch noch nicht gefolgt. „Wir sehen das als ein kritisches Thema, ein Seil als hitzebeständig zu bezeichnen“, sagt Wuhrer. Schließlich handelt es sich um ein textiles Material mit einem Schmelzpunkt. Den Ausdruck „hitzebeständiger“ würde er jedoch gelten lassen. „Selbst Aramide haben einen Zersetzungspunkt, der eben irgendwo über 400 Grad liegt.“
Workwear kommt ins Sortiment
Ähnlich sieht er es, wenn ein Seil als chemikalienresistent bezeichnet wird. „Das trauen wir uns nicht, das allgemeingültig über ein Seil zu sagen. Unserer Meinung nach kann man das in der Fülle möglicher Chemikalien nicht abdecken, um solch eine Aussage zu treffen und damit auch auf der sicheren Seite zu sein.“ Aber da „der Markt gerade danach schreit, werden wir uns auf die Suche nach einer Lösung machen.“ Das bedeutet aber nicht, dass Wuhrer nicht mit einem Seil von Edelrid in einen Tank, der mit unbekannten Chemikalien gefüllt war, klettern würde. „Ich habe ein Problem damit, dafür eine Garantie auszusprechen, das halte ich für unseriös. Das gibt dem Nutzer ja das Gefühl, das Seil könne beispielsweise mit Batteriesäure in Kontakt kommen und würde keinen Schaden nehmen.“
Da sich Edelrid ja längst als eine Trend- und Szene-Marke etabliert hat, ist es nicht überraschend, dass Vitus Wuhrer etwas Neues ankündigt, was es wohl erstmals auf der A+A im Oktober für die Öffentlichkeit zu sehen geben wird: Die bislang bekannte Sportkollektion für Bergsteiger und Kletterer wird nun auf Workwear ausgedehnt. „Wir werden als erstes jetzt den Baumpflegebereich aufnehmen“, verrät Wuhrer. „Da setzen wir auf technische Stoffe im Hosenbereich, auf Hoodies, und auch von der Designsprache wollen wir die Baumpflegerinnen und Baumpfleger ansprechen.“ Eine komplette Kollektion in Sachen Workwear verspricht Wuhrer zwar erst für 2025, aber „wir starten nach und nach. Wo wir gute Lösungen bereits haben, werden wir diese in den Markt geben.“
Ansonsten plant man seitens Edelrid den zuletzt erfolgreich eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Der lautet insbesondere sich mehr und mehr zum Vollsortimenter zu wandeln. „Wir wollen neben dem Seil alles an Sicherheitsausrüstung bieten, was in den jeweiligen Bereichen benötigt wird.“ Mit dem Abseilgerät „Megawatt“ und dem mitlaufenden Auffanggerät „Fuse“ seien da große Schritte gemacht worden, aber „wir haben immer noch Lücken zu schließen oder Bereiche zu verbessern. Und das werden wir auch tun.“ Das geht vom einem Industrieschutzhelm, der „eine sehr attraktive Alternative wird zu den Helmen, die bereits am Markt sind“, bis hin zu komplexen Systemen wie beispielsweise Seilsicherungssystemen. „Da wird es von uns in Zukunft noch mehr geben“, verspricht Wuhrer, „denn Arbeitssicherheit ist für uns Kernthema.“
Von Camillo F. Kluge
Vitus Wuhrer
… Geschäftsführer, verriet kommende Neuheiten des Allgäuer Unternehmens. // Foto: Edelrid