Auch wenn der Name Zitras erst seit knapp zwei Jahren auf den Briefköpfen des Berliner Unternehmens zu lesen ist, hat der Spezialdienstleister im Bereich Industrieklettern eine deutlich längere Geschichte, die bis 1995 zurückreicht. Da zählte Frank Seltenheim mit seinem damaligen Geschäftspartner bei der Gründung des Unternehmens Seilpartner zu den „Firmen der ersten Stunde, die gewerbliche Höhenarbeit als Alternative zu konventionellen Zugangsmethoden anbieten konnte.“ Die Redaktion war zu Gast bei Zitras im „Pankow Park“.

Kunst kommt von Können, hat etwas mit besonderen, meist handwerklichen Fähigkeiten zu tun. So war es auch ein Kunstprojekt, dass in Deutschland quasi den Anstoß für eine ganze Handwerks-Sparte gegeben hat. Man mag die Reichstagsverhüllung seinerzeit als großartig bewundert haben oder als überflüssig abgewunken – Fakt ist, dass dieses Projekt der Auslöser war, das in Deutschland der Beruf der Industriekletterer an Bedeutung gewann und sich kurz darauf erste Unternehmen gründeten – wie seinerzeit eben die Firma Seilpartner mit Frank Seltenheim und seinem damaligen Kompagnon.
Viele 100.000 Quadratmeter Sicherungsebenen eingebaut
„Als wir anfingen, gab es eigentlich noch keine größeren Projekte für die Branche“, erinnert sich Seltenheim. „Unser erstes größeres Projekt war in Hamburg Finkenwerder, da musste eine Flugzeug-Montagehalle im laufenden Betrieb mit einer Sicherungsebene ausgestattet werden, damit das Dach erneuert werden konnte.“ Von solchen Aufträgen kamen dann immer mehr, so dass der Einbau von Sicherungsebenen im laufenden Betrieb zum Hauptgeschäftsfeld des Unternehmens Seilpartner wurde. „Seit 1997 haben wir viele 100.000 Quadratmeter solcher Ebenen eingebaut.“
Neben diesen Tätigkeiten kam ein schnell wachsender neuer Bereich hinzu, nämlich Wartung und Service im Bereich von Windkraftanlagen. So wuchs das Unternehmen kontinuierlich, wurde zu einem weltweit gefragten Ansprechpartner, wenn es um die unterschiedlichsten Arbeiten in der Höhe geht. Montagen am Sony Center in Berlin, am heutigen Berliner Hauptbahnhof, Schutznetzmontage an der Werft in Stralsund, Tätigkeiten in Dublin, London, Newcastle oder Verona, das Unternehmen ist längst ein international gefragter Partner.
Aber nicht nur was die Montage betrifft, ist die Expertise von Seltenheim und seinen Mitstreitern gefragt. Dank der guten Zusammenarbeit mit dem Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude war Seltenheim, der schon bei der Reichstagsverhüllung eng mit den beiden zusammenarbeitete, auch bei einigen weiteren Großprojekten der Verhüllungskünstler dabei: bei der Umsetzung des Projekts „Wrapped Trees“ in der Schweiz, bei „The Gates“ im New Yorker Central Park und der Installation der größten Innenraumskulptur „Big Air Package“ im Gasometer in Oberhausen. Bei den „Wrapped Trees“ in der Schweiz zeichnete Seltenheim für die komplette Montage verantwortlich und in New York war er „der Mann für die Spezialaufgaben“, wie er sagt.
Technisch einwandfreie und wirtschaftlich sinnvolle Problemlösungen
„Mit diesen beiden Künstlern zusammenzuarbeiten, hat mich schon beeinflusst“, sagt er heute rückblickend. „Insofern bin ich dankbar, dass ich da überall mitmachen durfte.“ Auch an das letzte Projekt, den „Floating Piers“ auf dem norditalienischen Iseosee, erinnert sich Seltenheim gerne. „Das war ein sehr schönes Ambiente, strahlte etwas den Charme der 1950er Jahre aus.“ Wobei Seltenheim gesteht, dass diese Einsätze in der Welt der Kunst mehr für ihn, für seine Lebensqualität wichtig waren und „weniger fürs Portemonnaie. Aber ich habe sehr, sehr viele spannende Menschen kennengelernt.“
Geld verdient wird eben mit – wie es Zitras formuliert – „technisch einwandfreien sowie wirtschaftlich sinnvollen Problemlösungen für effizienten Zugang zu hoch gelegenen Orten.“ Für diese Dienstleistungen beschäftigt er insgesamt 16 Kletterer, teilweise im festen Angestelltenverhältnis, dazu zwei Trainer sowie noch einige Mitarbeiter für administrative Tätigkeiten. „Wir suchen immer Verstärkung“, sagt er, „aber wir finden leider wenige, die sich anstellen lassen. Gerade die jungen und gut qualifizierten Höhenarbeiter arbeiten lieber freiberuflich.“
Durch die Trennung von seinem Kompagnon entfiel der Montagebereich Windkraft, es erfolgte die Umbenennung in Zitras. „Der Fokus lag damit auf Montagediensten und Schulungen rund um sicheres Arbeiten in Höhen und Tiefen.“ Dass die Auftragslage eine rückläufige Entwicklung nehmen könnte, darüber macht sich Seltenheim keine Gedanken – eher im Gegenteil. „Ich denke, dass sich in den kommenden Jahren der Mangel an Höhenarbeitern noch verschärfen wird, es wird dringend Nachwuchs gesucht.“
Dabei ist es von Vorteil, wenn man bereits ein Handwerk beherrscht. „Anfangs kamen nahezu alle Industriekletterer aus dem Sportklettern“, erinnert sich Seltenheim. „Heute nehmen wir lieber Handwerker, die wir zu Industrieklettern weiterbilden. Das Arbeiten im Seil lernt man schneller als ein Handwerk.“
Sicher Arbeiten mit der Seilzugangs- und Positionierungstechnik
In den Räumlichkeiten im „Pankow Park“, wo das Unternehmen seit 2020 residiert, verfügt Zitras neben vier Schulungsräumen für theoretische Weiterbildung auch über eine 250 qm große Trainingshalle und bietet ein umfangreiches Schulungsangebot. PSA Notfall- und Rettungstraining als Grundkurs oder auch für spezielle Situationen werden alle drei, vier Tage durchgeführt. Dabei wird bei den Schulungen auch – falls vorhanden – das jeweilige Rettungskonzept des Kunden integriert, um „maßgeschneiderte Lösungen liefern zu können“, wie William Sterk, Leiter des Schulungszentrums, sagt. Im Bereich PSAgA gehen bei Zitras die meisten Teilnehmer durch. „Jeder, der irgendwann in einem Bereich mit Absturzgefahr arbeitet, benötigt solch eine PSAgA Schulung“, weiß Sterk.
Zudem werden FISAT Wiederholungsunterweisungen für alle drei Level durchgeführt. Auch hier ist eine jährliche Wiederholung zwingend erforderlich, um „ein sicheres Arbeiten unter Anwendung der Seilzugangs- und Positionierungstechnik zu gewährleisten“, so Sterk. Aktuell kommen zudem noch besonders viele Schulungen aus dem Bereich der GWO hinzu, der Global Wind Organisation. Die Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine international anerkannte und praxisnahe Zertifizierung für Personen zu erarbeiten, die an Windkraftanlagen arbeiten. Auch diese Schulungen sind alle zwei Jahre zu wiederholen.
Alle ausgebildeten Industriekletterer in den Arbeitsmarkt vermittelt
„Häufig werden bei uns auch Havarie-Szenarien geübt“, sagt Sterk. Diese gehen dann üblicherweise auf typische Situationen des Kunden oder seiner Tätigkeiten ein. „Das regelmäßig zu trainieren ist genauso wichtig wie Erste-Hilfe-Leistungen“, vergleicht Sterk. Und letztlich kann solch eine Rettung aus der Höhe eben auch Leben retten. Ein Shop gehört ebenfalls zum Angebot des Berliner Betriebs. So zählt Zitras zu einem der wenigen Anbieter in Deutschland, die die Seilwinden des schwedischen Herstellers Act Safe nicht nur anbieten, sondern auch den Einsatz schulen und die Geräte warten. Ansonsten hat Zitras eigentlich die komplette Bandbreite der verschiedenen Ausrüster und Hersteller im Angebot und setzt die entsprechend selber ein – im Einsatz genauso wie bei den Schulungen.
Sämtliche Schulungen werden nicht nur am Standort im „Pankow Park“ angeboten, sondern können auch bei den Kunden vor Ort durchgeführt werden. Dafür ist Sterk ebenfalls der richtige Ansprechpartner, der seine Mitarbeiter dann entsprechend losschickt. Da steht ihm ein illustrer Kreis zur Verfügung. „Die Jungens ergänzen sich wunderbar, der eine ist besser im Bereich Retten, der andere bei der PSAgA, dann haben wir reine Unterstützer, das lässt sich wunderbar koordinieren.“ Und noch eine beeindruckende Zahl kann der Leiter des Schulungszentrums vorweisen. „Alle, die bei uns zum Industriekletterer ausgebildet wurden, konnten im Arbeitsmarkt vermittelt werden.“
Selbst ist Firmenchef Frank Seltenheim nur noch selten draußen, noch seltener im Seil. Dafür hat er drei Projektleiter. „Ich bin eigentlich nur noch administrativ tätig, arbeite am Unternehmen“, wie er sagt. Die Projektleiter haben unterschiedliche Hintergründe, werden auch immer wieder mal zwangsläufig mit neuen Aufgaben konfrontiert. „Jeder muss seine Fehler machen, daraus lernt man. Erfahrung spielt eine große Rolle in dem Beruf.“
Von Camillo F. Kluge