• Absturzsicherung, Geländer, Gerüste, Höhensicherung, Leitern

Hoffen auf eine steigende Marktnachfrage

  • Mai 22, 2025

Die Netzgesellschaft energis, ein Unternehmen der VSE-Gruppe, wurde mit dem Deutschen Arbeitsschutzpreis 2025 in der Kategorie „Betrieblich“ ausgezeichnet. Mathias Kütten, leitender Sicherheitsingenieur der VSE Gruppe, und Thomas Wachter, Leiter Arbeitssicherheit/Umweltschutz sowie Fachkraft für Arbeitssicherheit bei energis, beantworteten der Redaktion einige Fragen.

Das Team um Thomas Wachter (3. v. r.) und Mathias Kütten (2. v. r.) freute sich bei der Verleihung im Bundesministerium für Arbeit und Soziales über den Preis.

Sie wurden mit dem Deutschen Arbeitsschutzpreis ausgezeichnet. Können Sie kurz beschreiben, wofür?
Thomas Wachter: An unseren Hubarbeitsbühnen haben wir ein System mit Spannungssensoren montiert. Wir arbeiten als Netzbetreiber häufig an oder in der Nähe von unter Spannung stehenden Leitungen. Die Gefahr, aus Versehen, durch Unachtsamkeit oder Verwechslung in die Gefahrenzone einzudringen, ist sehr groß. Doch so etwas passierte Ende 2023: Ein Monteur arbeitete mit einer Hubarbeitsbühne und wollte ein heruntergefallenes Bauteil vom Erdboden aufheben. Dazu schwenkte er die Bühne zur Seite, um anschließend nach unten zu fahren. Dabei bemerkte er im Augenwinkel etwas. Er drehte den Kopf – und befand sich etwa 30 cm vor einer 20-kV-Freileitung. Bei einem Abstand von ca. 22 cm hätte ein Lichtbogen gezündet und den Mitarbeiter tödlich verletzt. Dies kann auch ohne direkte Berührung der Leitung passieren. Eine gezielte Bewegung führte den Monteur aus dem Gefahrenbereich.

Mathias Kütten:
Aufgrund der gelebten offenen Fehlerkultur meldete der Mitarbeiter diesen Vorfall als Beinaheunfall. In unserem Konzern werden Ereignisse mit dem Potenzial, einen Mitarbeiter schwer oder tödlich zu verletzen, tiefgreifend untersucht. Im Rahmen der Untersuchung und Maßnahmenfindung, um solche Vorfälle zukünftig zu verhindern, kamen wir zu dem Entschluss, den Markt nach Abstandswarnern – analog zu den Einparkhilfen bei Fahrzeugen – zu durchsuchen. Leider sind die Leiterseile verhältnismäßig dünn, sodass eine zuverlässige Warnung nicht möglich war. Auch die etablierten Hersteller der Hubarbeitsbühnen konnten uns hierbei nicht weiterhelfen. Viele unserer Fachkräfte für Arbeitssicherheit sind auch bei Freiwilligen Feuerwehren aktiv. Über diesen Weg erhielten wir den Hinweis, dass es für Feuerwehr-Drehleitern in Frankreich ein System mit Spannungssensoren gibt. Dieses haben wir uns konkret angesehen und die Einsatzgrenzen überprüft. Eine erste Hubarbeitsbühne wurde daraufhin in einer Drehleiterwerkstatt mit diesen Spannungssensoren ausgerüstet. Im weiteren Verlauf fanden Schulungen und Einweisungen in das System durch den Hersteller statt. Somit sind wir nun in der Lage, das System und die Sensoren an unsere Anforderungen hinsichtlich des Warnabstandes anzupassen.

Was war die besondere Herausforderung dabei, die Idee in die Tat umzusetzen?
Wachter: Die größte Herausforderung besteht darin, dass wir mit diesen Hubarbeitsbühnen gezielt an 0,4-kV-Leitungen unter Spannung arbeiten. In diesen Fällen soll es zu möglichst wenigen Fehlaus-lösungen oder Warnungen kommen. Das ist entscheidend für die Akzeptanz bei den Mitarbeitenden.

Wie reagierten die angesprochenen Partner bei der Entwicklung auf die Idee?
Kütten: Der Aufbauhersteller unserer im Einsatz befindlichen Hubarbeitsbühnen konnte uns kein Warnsystem für Stromleitungen liefern. Ursächlich hierfür ist die bisher fehlende Nachfrage am Markt. Durch die Prämierung mit dem Deutschen Arbeitsschutzpreis erhoffen wir uns eine steigende Marktnachfrage, sodass auch die Aufbauhersteller zukünftig Spannungssensoren ab Werk mit anbieten.

Die Spannungssensoren reagieren ja auf den Strom. Ist das abhängig davon, wieviel Strom durch eine Leitung fließt? Also je mehr „Saft“ auf der Leitung ist, desto eher schlagen die Sensoren an?
Wachter: Die Sensoren reagieren auf das elektrische Feld. Je höher die Spannung der Leitung, desto größer ist der Warnabstand. Dies ist unabhängig vom Strom.

Das saarländische Unternehmen setzt darauf, dass die Aufbauhersteller solch ein System vom Werk aus mit anbieten. // Fotos (2): VSE Gruppe

Das Gerät sitzt außen an der Bühne. Wie funktioniert die optische Warnung dann?
Wachter: Die Sensoren sind außen am Korb der Bühne befestigt. Über Leitungen sind sie mit einer Auswerteeinheit im Korb verbunden. Optional kann eine zusätzliche optische Kennleuchte in der Nähe des Bedienpults angebracht werden. Andernfalls blinkt eine kleine Leuchte an der Auswerteeinheit. Von dieser wird auch das akustische Warnsignal ausgesendet. Dieses ist bei hochgefahrenem Korb auch noch am Boden wahrnehmbar. Im Korb selbst ist es für das Bedienpersonal nicht zu überhören.

Wie klappt das mit der akustischen Warnung? Ist die laut genug auch wenn der Mitarbeiter Kopfhörer oder Lärmschutz trägt? Oder lässt sich der akustische Warnton sogar auf die Kopfhörer übertragen?
Wachter: Der Warnton ist relativ laut und grell, ähnlich wie bei einem Rauchwarnmelder, und daher auch mit Gehörschutz wahrnehmbar. Eine Übertragung des Warntons in einen Kopfhörer möchten wir vermeiden. Setzt der Mitarbeiter den Kopfhörer nicht auf, kann er den Warnton nicht hören.

Wie lange wurde die Innovation getestet und reagiert sie zu hundert Prozent zuverlässig?
Kütten: Derzeit läuft unsere Testphase seit etwa neun Monaten und ist noch nicht abgeschlossen. Wir erhalten von den Monteuren in regelmäßigen Abständen ehrliches Feedback aus dem Arbeitsalltag. Dieses Feedback nehmen wir sehr ernst und versuchen bei Problemen, umgehend Verbesserungen anzustoßen. Wir experimentieren beispielsweise mit der Anbringung der Sensoren an verschiedenen Positionen am Arbeitskorb der Bühnen sowie mit der programmierbaren Sensitivität der Sensoren. Sollte ein Sensor ausfallen oder beschädigt werden, wird dies von der Auswerteeinheit erkannt und ein Dauerwarnton abgegeben. Nach bisherigen Erfahrungen hat das Warnsystem stets zuverlässig funktioniert, und es gab keine Ausfälle.

Ist das eine Entwicklung, die sich allgemein auf Hubarbeitsbühnen jeden Herstellers adaptieren lässt? Quasi ein System zum Nachrüsten?
Kütten: Ja, grundsätzlich lässt sich dieses System sehr gut nachrüsten. Es wird lediglich eine Versorgungsspannung von 12 bzw. 24 Volt benötigt. In der Regel lässt sich diese an der Steuerung der Bühne abgreifen.

Inwiefern vereinfacht diese Lösung nun den Arbeitsalltag?
Wachter: Bei den Spannungssensoren handelt es sich um eine sogenannte organisatorische Schutzmaßnahme, da trotz akustischem Warnsignal die Fahrbewegung der Bühne nicht automatisch gestoppt wird. Bei dem gemeldeten Beinaheunfall im Jahr 2023 wurde der Monteur durch den herabfallenden Gegenstand aus seinem gedanklich geplanten Arbeitsablauf „herausgerissen“ und hatte dadurch die Stromleitung in seinem Rücken „nicht mehr auf dem Schirm“. Genau hier sollen die Spannungssensoren unsere Monteure unterstützen und im Fall der Fälle rechtzeitig warnen, bevor es zu einer gefährlichen Annäherung an eine Stromleitung kommt.

Teilen Sie Ihr Wissen mit anderen Unternehmen, damit die ihre Arbeitsbühnen auch entsprechend sicher gestalten können?
Kütten: Selbstverständlich, das ist unser Ansatz. Wir möchten unsere Idee im Rahmen des Deutschen Arbeitsschutzpreises so bewerben, dass alle Mitarbeitenden in der Branche davon profitieren und sicherer arbeiten können. Im Idealfall nehmen die Hersteller dieses System in ihr Angebot auf und können es standardmäßig an neu ausgelieferten Maschinen anbieten.

Die Fragen stellte
Chefredakteur Camillo F. Kluge

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