Es gibt verschiedene Varianten an Flachdach-Absturzsicherungssystemen. Auch wenn allen gemein ist, dass sie vor Abstürzen vom Dach bewahren sollen, haben sie unterschiedliche Qualitäten. Daher sind manche Absturzsysteme für bestimmte Aufgaben mehr, für andere wieder weniger geeignet. Etwas Übersicht ins Thema liefert Dipl.-Ing. Frank Christ, bei der BG BAU unter anderem zuständig für den Themenbereich hochgelegene Arbeitsplätze, mit seinen Antworten auf die Fragen der Redaktion.
Herr Christ, es gibt verschiedene Varianten der Absturzsicherung auf einem Flachdach.
Können Sie die bitte kurz skizzieren?
Frank Christ: Der Begriff Absturzsicherung fasst erst einmal alle Maßnahmen zusammen, die einen Absturz- oder Durchsturz von Personen von z. B. einem Dach verhindern. Diese Absturzsicherungen werden in kollektive und individuelle Absturzsicherungen unterschieden und können permanent oder temporär ausgeführt werden. Kollektive oder auch technische Absturzsicherung sind eine zwangsläufig wirksame Schutzmaßnahme, die einen Absturz auch ohne bewusstes Mitwirken der Beschäftigten oder sonstiger gefährdeten Personen verhindert. Bei der Auswahl müssen kollektiven Absturzsicherungen Vorrang vor individuellen Absturzsicherungen, z. B. Anschlageinrichtungen mit Benutzung persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA), eingeräumt werden.
Dauerhaft verbaute kollektive Absturzsicherungen können bei einem Flachdach eine 1,00 m bzw. ab 12 m Absturzhöhe eine 1,10 m hohe Attika, Brüstung oder Geländer sein. Bei Lichtkuppeln oder Lichtbändern können durchsturzsichere Verglasungen nach DIN 18006-6 oder bei Scheiben aus Acryl, Polycarbonat oder PVC mit einer Prüfung nach Prüfgrundsatz GS-BAU-18 eingesetzt werden. Hier wird die Absturzsicherung z. B. durch den Einsatz von Überdeckungen, Durchsturzgittern, eine konstruktive Verstärkung mittels Metallbändern oder der Auftrag von speziellen Beschichtungen hergestellt.
Als individuelle Absturzsicherungen können dauerhaft installierte seilgeführte oder schienengeführte Anschlageinrichtungen oder Einzelanschlageinrichtungen für die Benutzung von PSAgA zum Einsatz kommen. Beim Einsatz von PSAgA als Absturzsicherung ist immer auf die ausreichende lichte Höhe, die Verhinderung von Pendelstürzen und insbesondere auf ein funktionierendes Rettungskonzept zu achten.
Temporäre Absturzsicherungen von Flachdachkanten können als kollektive Schutzmaßnahme mobile Seitenschutzsysteme sein und für den Durchsturz bei Wartungsarbeiten an Oberlichtern z. B. auch temporäre Anschlageinrichtungen. Gerade die temporären Seitenschutzsysteme und zum Teil auch temporären Anschlageinrichtungen werden als auflastgehaltenen Systeme eingesetzt.
Viele dieser Absturzsicherungen stehen auch als auflastgehaltene Absturzsicherungen zur Verfügung.
Wie lautetdie konkrete Definition der BG BAU einer auflastgehaltenen Absturzsicherung?
Christ: Hier muss man zwischen den Seitenschutzsystemen und den Anschlageinrichtungen unterscheiden. Prinzipiell bedeutet auflastgehalten, dass das System durch seine Eigenlast und Reibung ein Abgleiten oder Abkippen des Seitenschutzsystems oder der Anschlageinrichtung verhindert. Die Seitenschutzsysteme werden in der
DIN EN 13374:2018 „Temporäre Seitenschutzsysteme“ beschrieben. Für die Randsicherung auf Flachdächern mit einer Neigung bis max. 15 Grad können Systeme nach Typ A DIN EN 13374:2018 verwendet werden. In der DIN EN 795:2012 „Persönliche Absturzschutzausrüstung – Anschlageinrichtungen“ werden die auflastbasierten Anschlageinrichtungen mit dem Typ E definiert. Den maximalen Neigungswinkel der Dachfläche gibt der Hersteller in seiner Bedienungsanleitung vor. Bei den meisten Herstellern ist der maximale Neigungswinkel mit 5 Grad angegeben.
Wo dürfen auflastgehaltene Absturzsicherungen eingesetzt werden?
Christ: Die auflastgehaltenen Absturzsicherungen dürfen innerhalb der vom Hersteller angegebenen Einsatzgrenzen auf Flachdächern eingesetzt werden, wenn keine dauerhaften Absturzsicherungen vorhanden sind oder Arbeiten ausgeführt werden, die eine zusätzliche Absturzsicherung erforderlich machen. Zur kollektiven Absturzsicherung sollten bevorzugt temporäre Seitenschutzsysteme eingesetzt werden. Das bietet den großen Vorteil, dass Dachflächen mit mehreren Personen gleichzeitig begangen werden können. Lässt jedoch die Eigenart der Arbeit und die kurze Ausführungszeit den Einsatz von Seitenschutzsystemen nicht zu, können auflastgehaltene Anschlageinrichtungen zur Sicherung mit PSAgA herangezogen werden.
Was sind Vorteile einer auflastgehaltenen Absturzsicherung?
Christ: Die auflastgehaltenen Absturzsicherungen erlauben eine nachträgliche und schnelle Sicherung von Absturzkanten, wenn Arbeiten auf Flachdächern mit Absturzgefährdung ausgeführt werden sollen. Sie können meist in handlichen Einzelteilen auf die Dachfläche transportiert werden und werden dann dort komplett zusammen- und aufgebaut. Es müssen keine Dachabdichtung geöffnet und im Nachgang wieder geschlossen werden.
Was sind die Nachteile?
Christ: Die Systeme müssen immer entsprechend der Herstellervorgaben aufgebaut werden. Meistens ist beim Aufbau eine Absturzgefährdung vorhanden, da sich die Personen im noch nicht gesicherten Bereich aufhalten. Die Erfahrung zeigt, dass die Systeme häufig nicht ausreichend ballastiert und die Eckausbildungen falsch ausgeführt werden. Hierdurch entsteht eine Scheinsicherheit und es besteht eine nicht erkennbare Absturzgefährdung. Auch müssen teilweise für die Ballastierungen von Anschlageinrichtungen bis zu 500 kg auf die Dachfläche geschaffen werden.
Worauf muss ein Handwerker oder Arbeiter, der auf einem Flachdach Aufgaben zu erledigen hat, achten? Also wenn Sie zum Beispiel für dienstliche Tätigkeiten auf ein Dach müssten, was würden Sie tun, bevor Sie Ihrer eigentlichen Aufgabe auf dem Dach nachkommen?
Christ: Als Erstes ist zu klären, wie man gesichert auf die Dachfläche kommen kann. Gibt es ein Treppenhaus mit Austritt zur Dachfläche, welches sicher benutzt werden kann oder muss erst ein Zugang – Treppenturm, gesicherte Leiter bis max. 5 m Aufstiegshöhe – von außen geschaffen werden.
Dann ist zu klären, welche Sicherungseinrichtungen auf der Dachfläche vorhanden sind und welche Arbeiten sollen mit wie vielen Personen ausgeführt werden. Im Rahmen der objektbezogenen Gefährdungsbeurteilung werden dann die geeigneten Maßnahmen festgelegt und die Mitarbeiter werden entsprechend unterwiesen. Kollektive Schutzmaßnahmen wie die temporären Seitenschutzsysteme haben dabei Vorrang vor individuellen Schutzmaßnahmen. Lässt es die Eigenart und Dauer der Arbeit jedoch zu, PSAgA anzuwenden, muss die geeignete Schutzausrüstung vorhanden sein und ein Rettungskonzept inkl. Rettungsgerät vorliegen. Auch müssen die Mitarbeiter in der Benutzung von PSAgA und Rettungsgerät unterwiesen und geschult sein.
ZUR PERSON
Bereits seit acht Jahren ist Dipl.-Ing. Frank Christ bei der BG BAU, davon die letzten gut 30 Monate als Referent im Referat Hochbau. Zudem hat er vor zwei Jahren noch einen Master of Science Abschluss „Management Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit“ erworben.
Herr Christ, vielen Dank für Ihre ausführlichen Antworten.
Die Fragen stellte Camillo F. Kluge.