Arbeiten auf Dachflächen zählen zu den gefährlichsten Tätigkeiten in Bau und Handwerk, denn sie sind mit hoher Absturzgefahr verbunden. Bei der Auswahl der Schutzmaßnahmen soll dem kollektiven Gefahrenschutz Vorrang vor individuellen Schutzmaßnahmen wie der persönlichen Schutzausrüstung (PSAgA) gegen Absturz eingeräumt werden. Details liefert der Fachbeitrag von Michael Duss, Leiter Vertrieb Nutzdach beim führenden Hersteller von Dachsystemen Paul Bauder.
Gefährdungen wie Sturz vom oder durch das Dach, Stürze durch eine Dachöffnung, Abrutschen von geneigten Dachflächen sind genauso wie die erforderlichen Schutzmaßnahmen bereits bei der Planung des Gebäudes zu berücksichtigen und gehen somit auch in die Betriebsanweisung über. Zahlreiche Industrieanbieter von Absturzsystemen unterstützen ihre Verarbeiter mit objektbezogenen Planungsentwürfen für die Absturzsicherung. Zusätzlich werden in Fachschulungen Kenntnisse für die korrekte Montage sowie Dokumentation und Prüfung vermittelt. Allerdings: Verantwortlich für die Prüfung und Richtigkeit der Planungsunterlagen ist der jeweilige Planer bzw. der Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator (SiGeKo). Dieser ändert bei Bedarf den Vorschlag und gibt den finalen objektbezogenen Plan frei, ggf. unter Hinzuziehung eines Fachplaners.
Planungsgrundsätze Absturzsicherungen müssen geplant werden. In fast allen Landesbauordnungen wurde der §32 Dächer (8) der Musterbauordnung übernommen: „Für vom Dach aus vorzunehmende Arbeiten sind sicher benutzbare Vorrichtungen anzubringen.“ Ergänzend fordern das ArbSchG und die BaustellV, dass zusätzliche Maßnahmen zu treffen sind und die Gefährdung der Beschäftigten vermieden werden soll. Für spätere Arbeiten an der baulichen Anlage müssen Unterlagen erstellt werden. Hierzu bietet die Industrie, wie beispielsweise Bauder, Hilfestellung bei der Ausarbeitung von Vorschlägen auf Basis der vorliegenden Planungsunterlagen.
Die Entscheidung, welche Sicherungsmaßnahme sich eignet, ist vom Objekt abhängig. Die BG Bau Planungsgrundlagen von Anschlagseinrichtungen auf Dächern – DGUV Information 201-056 (Stand 2015) konkretisiert und vermittelt hier relevante Inhalte. Berücksichtigt werden soll auch das sogenannte TOP-Prinzip (Technisch vor Organisatorisch vor Persönlich). Die Auswahl der Systeme bzw. der Ausstattungsklassen werden hier allerdings nicht detailliert erläutert.
Nach der Technischen Regel für Arbeitsstätten ASR A2.1 sollen sich Personen auf dem Dach, insbesondere im Gefahrenbereich mit Abstand ≤ 2 m, nicht ungeschützt bewegen. Auf Flachdächern müssen im Wesentlichen folgende Absturzkanten gesichert werden:
- Absturzgefahr besteht ab Absturzhöhe ≥ 1 Meter
- zu einer mit mehr als 60° geneigten Fläche
Ferner muss bereits ohne Höhenunterschied gesichert werden, sofern man Versinken kann.
Sicherungsmaßnahmen für Flach- und flach geneigte Dächer
Kollektive Schutzeinrichtungen (z. B. Geländer, hohe Attika, Brüstung, Durchsturzgitter) haben absoluten Vorrang gegenüber dem Anseilschutz. Ein Absturz muss unbedingt verhindert werden. Es sollte stets daran gedacht werden, dass bei einem Sturz mit 2 m Fallhöhe bereits das siebenfache Körpergewicht auf den PSA-Nutzer wirkt. Daher sind Rückhaltesysteme zu bevorzugen.
Bei Geländern zu beachtende Regelwerke: Als Mindestanforderung für Geländer der Ausstattungsklasse 3 nennen die relevanten Regelwerke (DGUV-Information und DIN 4426) die DIN EN 13 374. Daraus ergeben sich u. a. Höhen- und Abstandsvorgaben sowie ob eine zusätzliche Fußleiste (Bordbrett) benötigt wird. Die Fußleisten müssen mind. 150 mm hoch sein und dürften 20 mm Abstand zur Arbeitsfläche nicht überschreiten. Übersteigt der Zwischenraum von Unterkante Handlauf zu Oberkante Attika 470 mm, müssen sie montiert werden.
Soweit die objektbezogene Situation keinen Individual-Schutz gegen Absturz zulässt, können entsprechende Anschlageinrichtungen geplant werden. Hierzu sollen die Nutzer nach den DGUV Regeln 112-198 und 112-199 geschult sein, also sowohl in der PSAgA-Anwendung als auch in der Rettung.
Bevorzugt sollen Anschlageinrichtungen parallel zur Absturzkante mit 2,5 m Abstand verlaufen. In der Praxis sind Dächer jedoch nicht nur rechteckig, wie vereinfacht in der genannten DGUV-I aufgezeigt. Das erfordert von den planenden Personen objektbezogene Konzepte, wie bei Dachkanten mit bspw. Vor- und Rücksprüngen sinnvolle anwendbare Absturzsicherungen für den PSA-Nutzer umzusetzen sind. Einzelanschlagpunkte als Ergänzungen zu Seilsystemen können hierbei eine sinnvolle Möglichkeit sein. Hier gilt:
- Nicht die Anzahl der Anschlageinrichtungen, sondern die richtige Auswahl und Positionierung ist für die Sicherheit entscheidend.
- Seilsysteme müssen Einzelanschlagpunkten vorgezogen werden.
Besonders hilfreich ist dabei die o. g. DGUV-Information als einzige branchenweite Zusammenfassung für die Ermittlung der Absturzsicherungsmöglichkeiten samt Anordnungen. Sie ist weder eine DGUV-Vorschrift noch eine DGUV-Regel, trotzdem hat sie bei Planern und Ausführenden einen sehr hohen Stellenwert. Sie enthält zudem wichtige Erläuterungen zur Schutzausrüstung, zur Anwendung und Montage sowie zur Dokumentation und Prüfung.
Planung des Zugangs zur Anschlageinrichtung: Ergänzend zur Absturzsicherung sollen auch sichere Dachzugänge geplant werden. Auch hierzu gibt die DGUV-Information 201-056 in Kapitel 2.4 Vorschläge. Die DIN 4426 wird etwas konkreter, es sollen nämlich gem. Punkt 5.1 – soweit nicht kollektiv gesichert – „in Greifweite“ mit max. 0,6 m Abstand zum Dachausstieg z. B. Einzelanschlagpunkte dazu vorgesehen werden. Je nach Höhenunterschied stellen natürlich fest installierte Treppen oder passende Leitern eine Möglichkeit dar.
Lichtkuppeln und Lichtbänder sollen ebenfalls gegen Durchsturz gesichert sein. Nachträgliche Sicherungsmöglichkeiten sind z. B. Geländer, die um die Lichtkuppeln aufgestellt werden. Der Mindestabstand soll 0,5 m betragen.
Dächer mit Photovoltaik- oder Solarthermieanlagen, evtl. noch in Kombination mit Dachbegrünungen, werden für Wartungs- und Inspektionsarbeiten meist von mehreren Personen betreten. Gerade dann sollte mit einem Kollektivschutz gesichert werden, z. B. mit dem Geländer Bauder Secutec Barrier. Nach ASR A2.1 müssen die Geländer mind. 1 m hoch sein, ab einer Absturzhöhe von 12 m muss die Umwehrung sogar 0,10 m höher sein.
Im Bereich der Aufstellfläche der Geländerausleger sollten keine PV-Module platziert werden. In der Praxis bedeutet das, dass die Belegung mit PV-Modulen, je nach Geländertyp, erst ab ca. 1,0 m ab der Attika-Innenseite beginnt. Eine weitere Option sind Geländer ohne Ausleger und Gewichte, dabei werden die Geländer direkt auf der Attikakrone unter der Dachrandabdeckung montiert, wie z. B. Bauder Secutec Barrier A – somit steht die gesamte Dachfläche zur PV-Belegung zur Verfügung.
Sind die Personen, die das Dach begehen, ausreichend PSAgA-geschult, können solche Dachflächen auch mit Seilsystemen gesichert werden. Die Flächenkonkurrenz der beiden Systeme stellt in der Praxis meist kein Thema mehr dar. Einzelanschlagpunkte als alleinige Sicherungsmaßnahmen sind hierfür klar ausgeschlossen. Ergänzende Informationen für PV- und Solarthermieanlagen und Dachbegrünungen benennt die DIN 4426.
Baurechtliche Vorgaben und Regelwerke zum Arbeitsschutz greifen ineinander und setzen beim Planer ein gewisses Grundwissen und die Auseinandersetzung mit der objektbezogenen Dachsituation voraus. Die Planung mit Geländersystemen bietet die höchste Planungs- und auch Nutzersicherheit. Dächer, die nur mit einfachen Einzelanschlagpunkten gesichert werden, sollten der Vergangenheit angehören. Es ist davon auszugehen, dass diese kaum oder nicht genutzt werden. Denn die sich auf dem Dach bewegenden Personen müssen sich regelmäßig ein- und aushängen und ggf. ihr Verbindungsmittel in der Länge anpassen.
Gute Sicherheit entsteht also nicht durch eine Vielzahl geplanter und montierter Absturzsicherungen, sondern durch das bestmöglich zur Dachsituation passende System.
Michael Duss
… ist Leiter Vertrieb Nutzdach