Gut 15 Meter führt die Burgmauer von Schloss Waldeck in die Tiefe – mittendrin: Rettungshundeführerin Swantje und ihre Partnerin auf vier Pfoten, Karisma von den Seal Dogs. PSA-Hersteller Petzl will auf die Arbeit der Rettungshundestaffeln aufmerksam machen und zeigen, wie viel Training für die Ehrenamtlichen dahintersteckt.
Schloss Waldeck im Edertal/Hessen – die imposante schlossartige Burganlage aus dem 12. Jahrhundert steht trotzig über dem Edersee. Die gut erhaltene 15 Meter steile Burgmauer hat sicherlich Burg-Eindringlinge über Jahrhunderte hinweg abgeschreckt. Ganz furchtlos hingegen sitzen Swantje und ihre Hündin Karisma in Abseilgurt und Hundegeschirr und schweben dem Waldboden entgegen.
Der französische PSA-Hersteller Petzl hat seine Partner nach Hessen eingeladen. Neben Fachvorträgen und Produktpräsentationen ist es Petzl wichtig, auch einen Einblick in die Arbeit verschiedener Petzl-PSA-Einsatzbereiche zu geben. Dieses Mal galt die Aufmerksamkeit den Seal Dogs, einer ehrenamtlichen Rettungshundestaffel aus Berlin-Brandenburg. Die Gründer von Seal Dogs, Sascha und Swantje Mielke, sind mit Rettungshündin Karisma angereist und zeigen, wie ein Einsatzszenario ablaufen kann: Vom temporären Einrichten einer Abseilstelle, über das Abseilen bis hin zum Suchen einer vermissten Person im dichten Wald.
Temporäre Abseilstelle einrichten
Sascha hat gemeinsam mit Marek Proba, Leiter Petzl Technical Institute (PTI) und erfahrener Ausbilder für Seilzugangstechnik und Höhenrettung, eine geeignete Abseilstelle ausgewählt und den Ablauf abgesprochen. Swantje wird mit Hündin Karisma an der Burgmauer abgelassen. Sie muss sich dabei voll auf Marek verlassen, denn das Abseilen passiert passiv – wie immer, wenn Rettungshundeführer mit ihren Partnern auf vier Pfoten per Seil zu einem Einsatzgebiet gebracht werden. Schon bei festinstallierten Abseilstellen ist hier höchste Konzentration notwendig.
Einsatzbereiche von vermissten Personen oder Lawinenopfern liegen inmitten der Natur, oftmals in unwegsamem Gelände, was die Schwierigkeiten zusätzlich erhöht. Dazu Marek Proba: „Wenn man eine temporäre Abseilstelle für eine Suchaktion installieren muss, dann gibt es in der Natur Bäume, an denen Seile sicher fixiert werden können. In unserem Fall hatten wir eine Festung mit viel Mauerwerk.“ Um absolut sichere Anschlagpunkte zu bekommen, hat Marek temporäre Anschlagpunkte in die Burgmauer gebohrt – selbstverständlich mit Genehmigung der Burgverwaltung. „Wir arbeiten immer mit einem Zweiseilsystem, sprich einem redundanten System. Sollte ein Seil reißen, greift das zweite Seilsystem, das identisch aufgebaut ist und mitläuft. Das ist ein Grundsatz in der Industrie und gesetzlich vorgeschrieben.“
Abseilen mit Hund – alles wie immer?
Die Anschlagpunkte sind gesetzt, die redundanten Seilsysteme eingerichtet, allerdings muss Marek für das Abseilen von Hundeführer und Hund zusätzlich noch ein technisches Dreibein aufbauen. „Wenn wir nur eine Person abseilen müssen, dann kann sich diese auf die Kante setzen oder legen. Mit einem Hund im Hundegeschirr ist das nicht machbar. Hier müssen die Seile von oben kommen. Dafür wird das Dreibein aufgebaut und abgespannt, um einen erhöhten Umlenkpunkt zu schaffen. Nur so können Hundeführer und Hund entspannt in die Tiefe abgelassen werden.“
Swantje und Karisma kennen das schon, sie haben in etlichen Abseilübungen den Ablauf durchgespielt. Und dennoch bedeutet eine solche Aktion für den Hund Stress. Weswegen Hundeführer und Hund eine enge Vertrauensbindung benötigen und ein eingespieltes Team sein müssen. Ein „fremder“ Hund kann nicht mit einem Retter abgelassen werden. Auch müssen Vierbeiner an das Prozedere gewohnt sein und Spaß daran haben, nicht jede Spürnase findet es gut, Luft unter den Pfoten zu spüren.
„Das Training beginnt behutsam“, erklärt Sascha. „In einem ersten Schritt wird das Hundegeschirr angezogen und der Hund kurz vom Boden gehoben, sodass die Pfoten frei in der Luft sind. Wenn der Hund das gut mitmacht, geht es in langsamen und sich wiederholenden Schritten weiter. Irgendwann werden dann Hund und Führer am Seil festgemacht und auf- und abgeseilt. Den Ablauf halten wir hier völlig flexibel und an das jeweilige Team angepasst. Und das Abseilen, die Arbeit am Seil, erfolgt ausschließlich von ausgebildeten Seals“, erklärt Sascha das Übungsszenario.
Lage checken, kommunizieren, passiv abseilen
Bevor Swantje und Karisma zu ihrem imaginären Sucheinsatzgebiet abgeseilt werden können, wird zunächst ein erfahrener Hundeführer abgeseilt. Er prüft das Gelände, ist mit Abseiltechniker Marek per Funkgerät verbunden. Die Abseilstelle ist okay, das Prozedere kann starten. „Der Hundeführer greift nicht ins Abseilgeschehen ein, wird passiv abgeseilt“, kommentiert Marek den Ablauf. Damit sich der Mensch ausschließlich auf seinen Hund konzentrieren kann, für den ist die Situation, auch wenn vorab viel trainiert wurde, stressig.
Marek, der die Verantwortung für die beiden hat, ist per Funk mit Sascha, der Person am Boden, verbunden. „Diese Person spricht an, gibt mir klare Kommandos, wo sich die beiden befinden, wie viel Meter es noch bis zum Boden sind“, so Marek weiter. „Sicher unten angekommen übernimmt die Bodenperson das Aushängen der beiden Seile. Auch das ist wichtig, damit der Hundeführer sich weiterhin 100-prozentig auf den Hund konzentrieren und diesen dann unverzüglich in Suche bringen kann.“
Das Verfahren ist standardisiert, auch die Kommandos laufen gleich ab, nur so ist gewährleistet, dass gegebenenfalls unterschiedliche Rettungsorganisationen reibungslos und zügig miteinander arbeiten können. „Viele Rettungshundeorganisationen, die Bergwacht mit ihren Lawinenhundestaffeln mal ausgenommen, haben teilweise nur minimale Seilerfahrung, hier braucht es ausgebildetes Personal, beispielsweise Höhenretter, die die Abläufe perfekt kennen und auch den Aufbau von temporärer Abseilstellen professionell einrichten können“, erläutert Marek die Herausforderungen. Swantje und Karisma haben inzwischen wieder festen Boden unter den Füßen und könnten im Ernstfall jetzt mit der Vermisstensuche starten – ihrer eigentlichen Hauptaufgabe.
Menschenrettung zu Lande, zu Wasser und aus der Luft
Sea, Air, Land, zusammengesetzt SEAL, haben Sascha und Swantje ihren gemeinnützigen Rettungshundeverein genannt. Der Name ist nicht willkürlich entstanden, sondern in Anlehnung an die US-amerikanische Spezialeinheit „Navy Seals“. Sie wollen damit zum Ausdruck bringen, dass sich die ehrenamtlichen Retter zu Lande, zu Wasser und wenn nötig auch über die Luft zu den vermissten Personen bringen lassen. „Wobei wir keine ausgebildeten Höhenretter im Team haben, das ist mir ganz wichtig herauszustellen“, macht Sascha deutlich.
Er und weitere sechs Männer und Frauen haben einen siebentägigen Lehrgang „Seil- und Zugangstechnik“ absolviert und darüber eine mündliche und praktische Prüfung abgelegt. Den Seal Dogs geht es darum, während Einsätzen möglichst autark und somit effizient arbeiten zu können. „Es kann passieren, dass bei einer Vermisstensuche ein Hund oder ein Retter in einen Schacht oder ähnliches einbricht, beispielsweise wenn dieser im Wald von Blättern verdeckt ist. Dann gilt es schnellstmöglich Hilfe zu leisten und das geht am besten mithilfe von ausgebildeten Rettern aus den eigenen Reihen“, findet Sascha.
Für diese Fälle oder wenn es darum geht, schnell und sicher zu einer vermissten Person abgeseilt zu werden, wollen die Seal Dogs nur mit dem für sie besten Material arbeiten. „Ich freue mich sehr über die Zusammenarbeit mit Petzl. Wir haben damit eine ausgereifte Ausrüstung, die von Militär und Polizei sowie vielen weiteren professionellen Arbeits- und Einsatzbereichen genutzt wird. Für mich als Leiter der Seal Dogs, ist Sicherheit das A & O, deswegen arbeiten wir ausschließlich mit Petzl-Ausrüstung“, kommentiert Sascha.
Flächen- und Trümmersuche, Wasserortung, Mantrailing
Grundsätzlich könnte man davon ausgehen, dass die hundeunterstütze Suche nach vermissten Personen in Deutschland gut organisiert ist. Dies sehen Sascha und Swantje etwas differenziert: Ja, es gibt gute Organisationen in Deutschland, aber mit dem eigenen Verein können sie nach ihren eigenen Regeln Hunde und Menschen ausbilden – die nötige Erfahrung bringen beide mit. Sascha ist Beamter einer BOS-Behörde, er kennt alle Aufgaben zur Abwehr von Gefahren. Swantje ist Ausbilderin für Rettungshunde und Zugführerin. Perfekte Voraussetzungen, wenn man eine eigene Rettungshundestaffel auf die Beine stellen möchte.
Dazu Swantje: „Wir hatten einfach Lust etwas Neues, Eigenes auf die Beine zu stellen. Wichtig war uns, dass wir unabhängig und selbstbestimmt Handeln können. Und, dass wir die Teams nach unseren Wünschen ausbilden können, in unterschiedlichen Sparten und mit den neuesten technischen Möglichkeiten.“ Hier heben sich die Seal Dogs von anderen, ehrenamtlich-organisierten Rettungshundestaffeln ab, denn sie bilden in unterschiedlichen Einsatzszenarien aus: Flächen- und Trümmersuche, Wasserortung, Mantrailing.
Jede der genannten Sparten erfordert eine differenzierte Ausbildung von Menschen und Hunden. „Generell kann man sagen, dass es für Rettungshundestaffeln schwer ist, viele Sparten zeitgleich auszubilden und aufrechtzuerhalten. Das hat personelle Gründe und ist zudem eine Kostenfrage“, erklärt Swantje die Schwierigkeiten. „Das wollten wir bei den Seal Dogs ändern. Unsere vielfältigen Einsatzbereiche kommen nicht nur uns, sondern letztlich allen Rettungs- und Hilfsorganisationen zugute. Denn bei uns können Menschen und ihre vierbeinigen Partner anhand ihrer Eignung und persönlichem Wunsch eine Ausbildung durchlaufen“, erklärt Swantje das Konzept. Man muss, auch nicht zwingend einen Hund haben, um sich bei den Seal Dogs ehrenamtlich zu engagieren.
Zwei Jahre Ausbildung, 20 Wochenstunden Training
Wer mit Hund einsteigen möchte, muss sich darüber im Klaren sein, dass die Ausbildung mit Abschlussprüfung mindestens zwei Jahre in Anspruch nimmt. 20 Wochenstunden Training sind die Regel und die Kosten für Fahrten, Ausrüstung und Einsätze müssen die Ehrenamtlichen komplett selbst bezahlen. Und dennoch geht das Konzept auf: Seit der Gründung Mitte 2019 erfahren die Seal Dogs großen Zulauf.
Kann jeder mitmachen? Nicht jeder Hund und nicht jeder Mensch ist für die Ausbildung geeignet. Die Hundehalter müssen Lust haben mit dem eigenen Vierbeiner etwas Sinnvolles zu machen und sich ehrenamtlich zu engagieren. „Das bedeutet, dass sie viel Zeit und leider auch Geld investieren müssen“, erklärt Swantje. An zwei Tagen die Woche wird trainiert, in der Regel immer den ganzen Samstag sowie einen Abend während der Woche. Dazu Swantje. „Es gibt ein Mindestmaß an Trainingsbeteiligung, die es zu erfüllen gilt. Wir müssen uns alle aufeinander verlassen können, im Training und im Einsatz.“ Und bei den Hunden? Sind die körperlichen Voraussetzungen gegeben, geht es an die „Social Skills“: „Die Hunde müssen motivierbar sein, sollten nicht übermäßig ängstlich oder aggressiv sein. Weiterhin sollten sich die zukünftigen Rettungshunde nicht schreckhaft gegenüber ihrer Umwelt zeigen und offen gegenüber Menschen sein“, fasst Swantje die wichtigsten Voraussetzungen zusammen.
SPENDEN
Umfangreiche Informationen sowie Spendenmöglichkeiten gibt es unter
www.rettungshunde-sealdogs.com