In den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts ist die Entwicklung einer eigenen App keine Besonderheit mehr – Unternehmen, Behörden, Vereine und private Anbieter haben die Einfachheit der mobilen Anwendung, die uns den Alltag erleichtert, indem wir an etwas erinnert werden, bestimmte Informationen schnell übermitteln können oder die uns ganz einfach die Wartezeit am Bahnhof verkürzen soll, erkannt. Der Umsatz, der deutschlandweit mit und um die digitalen Helfer generiert wird, lag 2022 laut Bitkom e.V. bei 3,4 Milliarden Euro – Tendenz: steigend.
Messengerdienste, Shopping, Wettervorhersage, Bildbearbeitung, Dating – die schnelle Information umfasst mittlerweile die gesamte Bandbreite unseres täglichen Lebens. Nachdem sich Nutzerverhalten und die damit einhergehende Erwartungshaltung innerhalb so kurzer Zeit radikal verändert haben, ist die mobile Anwendung auch als Serviceleistung für den Kunden nicht mehr wegzudenken. Aus gutem Grund bieten alle namhaften Hersteller von persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz oder Anschlageinrichtungen ein digitales Tool für die turnusmäßige Überprüfung oder Montagedokumentation an.
Der Fach- und Interessenverband für seilunterstützte Arbeitstechniken e.V. (FISAT) hat nach der Einführung der Online-Ausweisgültigkeitsprüfung (Januar 2010) und dem FISAT-Handbuch (Oktober 2016) mit der Entwicklung der FISAT App in dem Nischenmarkt seilunterstützte Höhenarbeit einmal mehr Pionierarbeit geleistet. Als erster Verband in diesem Tätigkeitsbereich haben wir im März 2023 die Anwendung veröffentlicht: aus eigenen Mitteln finanziert, ohne Werbung und für den Nutzer kostenfrei.
Um die App zukunftssicher aufzustellen und für alle Smartphone-Nutzer unabhängig von Gerät und Betriebssystem den maximalen Komfort und Nutzen bieten zu können, wurden drei Versionen parallel entwickelt. Anstatt also nur eine Webanwendung zu programmieren, haben wir uns dazu entschlossen, zusätzlich je eine Anwendung für
die Betriebssysteme Android und iOS anzubieten. Nur so können die Vorzüge der mobilen Nutzung auf dem Smartphone, wie zum Beispiel Kamera- und Standortzugriff, optimal integriert werden. Dies war uns insofern wichtig, da die Kernfunktion in der ersten Ausbaustufe das personengebundene Logbuch und die digitale Ausweismöglichkeit unserer zertifizierten Anwender ist.
Warum aber ein digitales Logbuch? Nach internationalem Verständnis gehört das Führen eines Logbuchs, in dem die Einsatzzeiten am Seil dokumentiert werden, für alle Anwenderinnen und Anwender von Seilzugangstechniken zur Arbeitsnachbereitung. So wird auch in der FISAT Sicherheits- und Arbeitsrichtlinie für Seilzugangs- und Positionierungstechniken (FSR) seit über 20 Jahren ein persönlicher Nachweis mit einem fortzuschreibenden Teil gefordert, welcher „der Dokumentation der im Seil geleisteten Arbeitszeiten“ (FSR Punkt 4.2 Persönliche Nachweise) dient. Nur so ist es möglich, die Erfahrung und Kompetenz Einzelner nachzuvollziehen, was nicht nur für die Zulassung zu bestimmten Prüfungen sondern auch für die Kommunikation mit zukünftigen Auftrag- und Arbeitgebern oder Partnern eine entscheidende Rolle spielen kann.
Die digitale Variante des Logbuchs bietet einen effektiven Schutz gegen Verlust, Beschädigung und Vergessen. Darüber hinaus garantiert es eine lesbare und nachvollziehbare Dokumentation der eigenen Einsatzerfahrung. Anwender haben von jedem internetfähigen Ausgabegerät die Möglichkeit, auf ihre Einträge zuzugreifen und der aufsichtführenden Person die geleisteten Arbeitszeiten zur Bestätigung vorzulegen. Die Einträge können gefiltert und exportiert werden, um zum Beispiel im Rahmen einer Bewerbung dem potenziellen Arbeitgeber die eigene Erfahrung zu belegen. Einfache Tools, wie das Erstellen von Vorlagen für regelmäßig wiederkehrende Jobs oder das Kopieren und Bearbeiten von Einträgen erleichtern die Benutzung – vor allem im Vergleich zu der sonst üblichen Methode mit Papier und Kugelschreiber.
Uns war wichtig, dass sich die Höhenarbeiter der Tatsache bewusst sind, dass eine umfangreiche und gut dokumentierte Einsatzhistorie vor allem eines ist – Werbung für sich selbst. Dies geht mit einem gewissen Maß an Eigeninitiative einher und sollte nicht als zusätzliche Arbeit auf den Schultern des Aufsichtführenden lasten. Aus diesem Grund erstellt der Mitarbeiter einen Eintrag und legt ihm seinem Supervisor virtuell vor. Dieser bestätigt den Eintrag oder lehnt ihn, versehen mit einer kurzen Begründung, per Knopfdruck ab. Höhenarbeiter und Aufsichtführende kommunizieren dabei indirekt via Push Notification oder E-Mail.
Um Unternehmen zu unterstützen, die Ihre Aufträge regelmäßig und mit festen Teams abwickeln, haben wir zusätzlich eine Option geschaffen, bei der der Aufsichtführende den Eintrag erstellt und seine Mitarbeiter einlädt, diesen in das eigene Logbuch zu übernehmen.
Von viel zu wenig zu ein bisschen mehr
Wer sich mit den Möglichkeiten einer mobilen Anwendung befasst, wird bereits nach wenigen Minuten eine ganze Reihe von Ideen haben, welche Optionen und Funktionen integriert werden können. Im Lauf der Konzeptentwicklung standen wir also vor der Aufgabe, die schiere Menge an möglichen Features so weit einzudampfen, dass sie innerhalb der vorgegebenen Zeit entwickelt und umgesetzt werden können. Basierend auf dem neu definierten Minimalziel konnten wir im Rahmen der Arbeiten sinnvolle Ergänzungen einarbeiten und haben neben dem Logbuch den digitalen FISAT-Ausweis integriert. Dieser kann exportiert und mittels QR-Code durch den Kunden oder Auftraggeber in Echtzeit verifiziert werden.
Kurz vor der Veröffentlichung konnten wir dann noch einen Informationspool einarbeiten, in dem die für die Branche wesentlichen Veröffentlichungen des Gesetzgebers, der DGUV und des FISAT hinterlegt sind. Dieser Bereich ist, genau wie die Ausweisgültigkeitsprüfung und die Übersicht der durch die gelisteten Ausbildungsunternehmen angemeldeten Prüfungen und Wiederholungsunterweisungen, ohne Registrierung nutzbar.
Ein Wort zum Projektmanagement
Einfach mal machen – aber bitte mit Struktur. In der Softwareentwicklung ist es Standard, aber auch in anderen betrieblichen Kontexten werden Arbeiten immer häufiger als Projekt abgewickelt. Ähnlich wie der (zu) häufig herangezogene Prozess, wird das Projekt schon fast inflationär in unserem alltäglichen Sprachgebrauch genutzt. Dabei hat unter anderem auch das Deutsche Institut für Normung e.V. den Begriff als „Vorhaben, das im Wesentlichen durch Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist“ (DIN 69901) definiert. Um zwischen Standardablauf und Projekt zu unterscheiden, werden Merkmale wie Einmaligkeit, strategische Bedeutung, Komplexität und die zeitliche sowie finanzielle Befristung betrachtet – also Faktoren, die diese besonderen Bedingungen ausmachen. Bei uns trafen sie alle zu.
Wenn auch nur im Kleinen, war die Entwicklung der FISAT App ein Musterbeispiel für agiles Projektmanagement, welches sich durch enge Zusammenarbeit zwischen den Entwicklern und Kunden, Übergabe und Test funktionierender Teillieferobjekte und Anpassung der Anforderungen und Wünsche auf Basis der getesteten Zwischenergebnisse auszeichnet. So konnte aus einer Vision ein Produkt entstehen, das zu Beginn der Planung in seiner endgültigen Form noch nicht abgebildet werden konnte.
Nachdem die Resultate der erste Entwicklungsphase hauptsächlich unseren zertifizierten Höhenarbeitern dienen, wollen wir in den Schritten zwei und drei die FISAT-gelisteten Ausbildungsunternehmen und alle in der Höhe arbeitenden Personen unterstützen. Für den Moment gilt es jedoch erst einmal, die Anwendung bei den durch uns zertifizierten Personen zu etablieren, die vorhandenen Funktionen zu optimieren und eine gute Performance zu gewährleisten.