Die Firma Edelrid aus Isny im Allgäu gibt es seit 1863 und gilt als Pionier in der Seilentwicklung. Weithin geschätzt wird die Marke für ihre innovativen Bergsport-Produkte. Etwas weniger bekannt, aber nicht weniger wichtig: Der „Professional Bereich“ der Firma, der sich dem Klettern als berufliche Tätigkeit widmet, also zum Beispiel der Baumpflege oder der Seilzugangstechnik. Für diesen wachsenden Markt bringt Edelrid regelmäßig innovative Produkte auf den Markt. Durch das neue Abseilgerät Megawatt und das Sicherungsgerät Fuse machen die Allgäuer einen großen Schritt in Richtung Komplettanbieter für Höhenarbeiten.
Edelrid hat sich in der Kletter- und Bergsport-szene schon seit vielen Jahrzehnten einen Namen gemacht: Seile, Gurte, Klettersteigsets, Helme und viele Produkte mehr gehören zum Portfolio des Unternehmens. Vor allem in puncto Seile hat der Hersteller seit jeher eine Vorreiterrolle: Im Jahr 1953 hat die Firma das bahnbrechende Konzept des Kernmantelseiles vorgestellt. Die neue Technologie war den bis dahin üblichen gedrehten bzw. geflochtenen Hanf- und einfachen Nylonseilen haushoch überlegen. Bis heute werden so moderne Seile in einer zweiteiligen Konstruktion aus Seilkern, dem tragenden Element des Seils, und einer schützenden Mantelschicht gefertigt. Übrigens, bis heute produziert Edelrid alle Seile im Stammsitz im Allgäu, in Zeiten globaler Produktionsstätten ist dies durchaus bemerkenswert.
In den letzten Jahren werden die Produkte von Edelrid auch mehr und mehr von den Profis der Höhenarbeit eingesetzt. Damit sich dieser Trend auch in Zukunft fortsetzt bringt das Allgäuer Unternehmen dieses Jahr drei bedeutungsvolle Produkte für den industriellen Einsatz auf den Markt: In jahrelanger Tüftelei der hauseigenen Entwicklungsabteilung wurden das Abseilgerät Megawatt, das mittlaufende Auffanggerät Fuse und Defuser – die dazugehörigen Falldämpfer – zur Serienreife gebracht und sind in Kürze weltweit erhältlich.
Komfortables und sicheres Abseilen
Sicheres und komfortables Abseilen ist für alle, die in der Höhe arbeiten, essentiell. Das Megawatt ist ein Abseilgerät, das für den Einsatz beim Industrieklettern und bei Rettungseinsätzen entwickelt wurde. Es hat gleich eine ganze Handvoll Merkmale, die es zum wohl vielseitigsten Gerät auf dem Markt machen: Besonders viel Entwicklungsarbeit floss in die Konstruktion des Ablasshebels und dessen Funktion ein. Die intelligente Übersetzungsmechanik des Hebels ermöglicht einen großen Bedienbereich und eine sehr exakte Dosierung der Geschwindigkeit beim Abseilen und das bei minimalem Kraftaufwand.
Der kurze Hebel ist mit der linken wie der rechten Hand bedienbar und kehrt stets automatisch in die Parkposition zurück, was das Gerät angenehm kompakt macht. Das Risiko einer unkontrollierten Abseilfahrt wird durch die Anti-Panikfunktion reduziert. Diese kann auch bewusst ausgelöst werden, um die Bedienrichtung des Hebels umzudrehen. Dadurch wird ein optimales Handling in jeglicher Anwendung und Position ermöglicht. Das Seil kann in das Megawatt, das bis zu einer Nutzlast von 200 Kilogramm zugelassen ist, dank eines Vier-Wege-Sicherheitsverschlusses eingelegt werden, ohne es dafür vorher vom Karabiner trennen zu müssen. Stahleinsätze an stark beanspruchten Stellen machen es robust und langlebig, das freut den Geldbeutel.
Sicherungsgerät mit neuem Patent
Wenn Edelrids Innovationsleiter Daniel Gebel vom mitlaufenden Sicherungsgerät Fuse erzählt, ist der Stolz über die Neuentwicklung in seiner Stimme nicht zu überhören. „Die Idee für die spezielle Konstruktion und Funktionsweise des Fuse war es, die uns über so lange Zeit zu der Entwicklung motiviert hat“, sagt er. Rund fünf Jahre waren die Tüftler in ihren Werkstätten am Ideen schmieden, ausprobieren und Prototypen testen, bis die Geräte (das Abseilgerät Megawatt und die Falldämpfer Defuser kamen bei der Entwicklung als logische Ergänzung sehr bald hinzu) serienreif waren – „insgesamt das wohl größte Entwicklungsprojekt, das es bei uns jemals gab“, so Gebel.
Doch was ist so besonders an der Funktionsweise des Fuse? Es ist vor allem die konstruktive Trennung des Blockiermechanismus von dessen geschwindigkeitsabhängigem Aktivator. „Das hat aus technischer Sicht jede Menge Vorteile. Das Funktionsprinzip ist in dieser Form neu und auch zum Patent angemeldet. Einer der großen Vorteile zeigt sich zum Beispiel im Überlastfall. In diesem „worst case“ wird das Fuse fatale Unfälle vermeiden und das Gerät wird es noch dazu unbeschadet überstehen. Im Arbeitseinsatz wird das hoffentlich nie jemand brauchen, denn dazu muss schon sehr viel schief gehen. Tut es das aber, ist diese Sicherheitsreserve unbezahlbar. Im alltäglichen Umgang profitiert man dafür vom angenehmen Handling und dem sehr leichten Mitlaufen des Gerätes“, so die detaillierten Ausführungen des Entwicklers.
Eine weitere Besonderheit ist der Klemmnocken, welcher ohne Zahnung funktioniert, was das Seil erheblich schont und einen Seilriss bei Überlast verhindert. Außerdem kann die Klemmung so ohne vollständige Entlastung gelöst werden, Profis wissen das zu schätzen. Das Fuse ist laut Edelrid das einzige Sicherungsgerät am Markt, das bis 140 Kilogramm Nutzlast alle maßgeblichen Standards in Europa und Nordamerika erfüllt. Auch dieses Gerät kann bequem am Seil ein- oder ausgehängt werden, ohne es dafür vom Karabiner trennen zu müssen.
Auch wenn eine so aufwendige, jahrelange Entwicklungsarbeit nie ganz gradlinig verläuft, gab es in der gesamten Zeit eigentlich keine größeren Rückschläge, berichtet Gebel. Unzählige Reflektionsrunden der routinierten Tüftler sorgten immer schnell dafür, dass ein eingeschlagener Weg, der bei der Entwicklung vielleicht nicht ganz in die erwünschte Richtung führte, schnell wieder korrigiert werden konnte. Ein weiterer Motivationsgrund, die neuen Geräte auf den Markt zu bringen, kam aus Edelrids Vertriebsabteilung, erklärt Gebel: „Schon länger gab es den Wunsch, uns mit einem eigenen Abseil- und Sicherungsgerät als Vollausstatter für Höhenarbeiten zu etablieren und so unser Sortiment aus Seilen, Gurten, Anschlagschlingen und Karabinern endlich zu vervollständigen.“
Die laut Entwickler perfekte Einheit bildet das Sicherungsgerät Fuse mit den leichten und kompakten Defuser Falldämpfern. Deren maximaler Fangstoß liegt bemerkenswerte 30 Prozent unter der Norm. Durch die unterschiedlichen Dämpferlängen und -leistungsparameter gibt es für jeden Einsatzzweck das ideale Setup: Der kurze Defuser S (Nutzlast 50 – 140 Kilogramm) eignet sich besonders für Aufstiege und Arbeiten an Leitern oder Strukturen. Durch die körpernahe Führung des Sicherungsgeräts ist eine geringe Sturzhöhe gewährleistet. Wird ein größerer Abstand zum Sicherungsseil benötigt, kommt der lange und schmale Defuser L (Nutzlast 50 – 140 Kilogramm) zum Einsatz. Für das Arbeiten mit schweren Lasten oder bei Rettungseinsätzen, bei denen eine zweite Person ins eigene System übernommen werden muss, gibt es dann das Defuser Rescue (Nutzlast 50 – 220 Kilogramm).
Test-Events für die Branche
Um die neuen Produkte in der Branche und bei den Endkunden bekannt zu machen, rief Edelrid die „Vertical Freedom Tour in Rope Access” ins Leben. Bei diesen stets gut besuchten Veranstaltungen konnten die Teilnehmenden bei zehn Stopps in Österreich, Deutschland und den Beneluxstaaten die Geräte auf Herz und Nieren testen. Es galt das Motto: Neue Produkte als Erste ausprobieren und erleben. Mit dabei war Trainerin Steph Kleisser.
Die Ausbilderin, Industriekletterin und Handwerksmeisterin schult und sensibilisiert alle, die in absturzgefährdeten Bereichen und Situationen arbeiten. Sie durfte exklusiv schon früh selber die neuen Produkte verwenden und konnte somit bei den Test-Events Tipps und Tricks aus dem realen Arbeitseinsatz direkt an die Teilnehmenden weitergeben. Ein Vorteil, den die Kollegen aus der Industriekletterbranche zu schätzen wissen, denn echte Praxiserfahrung ist gerade in diesem Arbeitsumfeld immer gefragt. „Die Beteiligung war durchgängig sehr rege, es wurde super viel getestet und ausprobiert – auch Rettungsszenarien“, berichtet sie.
Aus ihrer Erfahrung waren die Teilnehmenden schnell von den selben Vorteilen der Geräte überzeugt, die auch sie zuvor schon für sich selber ausgemacht hatte: „Es ist die einfache, intuitive Bedienbarkeit, die allen sofort positiv auffällt. Und natürlich das wirklich unglaublich geschmeidige Mitlaufen des Fuse, das ist beeindruckend. So entsteht eigentlich nie das Problem, dass sich im Aufstieg über dem Gerät Schlaffseil bildet“. Für Profis wie sie ist aber auch noch ein anderes Detail des Sicherungsgerätes entscheidend, die Arretier-Funktion: So läuft das Gerät weiter nach oben mit, aber es rutscht nicht nach unten. So kann sich beispielsweise bei Wind, wie er gerade beim Arbeiten an hohen Strukturen häufig auftritt, kein Schlappseil bilden. Ab März dieses Jahres wird die Tour in fünf europäischen Ländern fortgesetzt. Die Termine dazu finden sich in Kürze auf edelrid.com.
Lucas Taddei
… der Produktmanager für Arbeitssicherheit im Allgäuer Unternehmen, weiß, dass die Tätigkeiten klassischer Höhenarbeiter und der von „Routenschraubern“ viele Gemeinsamkeiten haben.
Baumpflege und Routenbau
Dass die Geräte nicht nur in den „klassischen“ Einsatzbereichen der Höhenarbeiten zum Einsatz kommen, weiß Lucas Taddei, der Produktmanager für Arbeitssicherheit bei Edelrid, zu berichten: „Beim Routenbau in künstlichen Kletteranlagen nähert sich die Arbeitsweise immer mehr an die der industriellen Seilzugangstechnik an. Auch hier kann das Fuse als mitlaufendes Sicherungsgerät zukünftig verwendet werden. Und das Megawatt hat den großen Vorteil, dass es nach EN 15151-1 auch für den Bergsport zertifiziert ist. Ich kann damit also jederzeit auch einen Kletterer im Toprope oder auch im Vorstieg sichern.“ Ideal wenn man schnell eine Kletterpassage ausprobieren möchte. Besonders angenehm ist auch die kompakte Bauweise des Megawatt: „Gerade beim Routenbau hat man das Abseilgerät fast immer direkt vor sich, also genau dort, wo man eigentlich arbeiten will. Da ist es schon sehr angenehm, wenn es so klein wie möglich ist“, berichtet er vom Alltag aller „Routenschrauber“.
Auch in der Baumpflege kommen die Vorteile des Megawatt zum Tragen: „Für den Einsatz im Baum ist es wichtig, dass man mit dem Gerät nicht ständig irgendwo hängen bleibt, das klappt mit dem Megawatt einfach sehr gut. Leicht ist es auch mit seinen 495 Gramm, das macht das Handling einfach angenehm. Zudem kann es für die Einrichtung eines Stammankers genutzt werden: Es wird am Boden am Seil zwischengeschaltet, bei einem Unfall kann der Kletterer so unkompliziert abgelassen werden.“
Vorteile für echte Profis
Markus Füss entwickelt mit seinem Ingenieurbüro für seilunterstützte Zugangstechniken unter anderem Sicherheitskonzepte und ist daher immer an allen Neuentwicklungen im Ausrüstungsbereich interessiert. Mit den Produkten von Edelrid arbeitet er schon eine ganze Weile und er zeigt sich überzeugt: „Einer der großen Vorteile des Sicherungsgerätes Fuse ist natürlich der seilschonende Klemmnocken ohne Zahnung. Noch dazu hat das Gerät nur wenige bewegliche Teile und ist somit weniger schmutzanfällig.“ Ein großer Vorteil im harten Arbeitseinsatz. „Außerdem läuft es wirklich extrem leicht mit“, berichtet er, „eine große Seilpuppe am Boden, oder gar jemand, der das Seil zum Beginn des Aufstieges festhalten muss, braucht es so nicht mehr.“
Aber einen wirklich unschlagbaren Vorteil bietet die Bedienung des Megawatt. Erfahrene Nutzer können das Gerät dank der variablen Bedienrichtung einhändig nutzen. Man kann zum Ablassen also entweder ziehen oder drücken. So kann man so sogar zwei Geräte mit einer Hand bedienen, das erleichtert das Arbeiten extrem, wenn man zum Beispiel beim Aufhängen von Plakaten mit einem V-förmigen Aufbau der Seile arbeitet. So kann man sich bequem seitlich und nach unten bewegen und hat immer noch eine Hand zum Arbeiten frei.
Eine weitere spezielle Nutzung bietet das Fuse: Der Klemmnocken kann auch dann gelöst werden, wenn das Gerät nicht komplett entlastet ist. Eine Handsteigklemme mit Umlenkung kann über dem Gerät platziert werden, ein einfacher Flaschenzug ist so schnell gebaut. Besonders bei Rettungsszenarien kann dieser Aufbau Anwendung finden.
Das Jahr 2023 ist mit diesem Schwung neuer Geräte für das Höhenarbeiten ein weiterer Meilenstein für Edelrid. Die sympathischen Tüftler machen da weiter, wo ihre Vorgänger 1863 angefangen haben: Sie entwickeln Produkte, die das Bergsteigen wie das Klettern und nun eben auch das Arbeiten in der Höhe sicherer und bequemer machen. Und noch eines hat sich nicht verändert – bis heute tüfteln sie im beschaulichen Isny im Allgäu.