Das persönliche Sicherheitsverhalten von Handwerkern auf Baustellen und Gerüsten ist ein Problem. Prof. Dr. Christoph Bördlein, der allgemeine und klinische Psychologie sowie verhaltensorientierte Handlungslehre an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt lehrt, gab Auskunft über praktische Lösungsansätze, die auch für kleine Betriebe praktikabel sind.
Interview mit Herr Prof. Dr. Christoph Bördlein
Herr Prof. Bördlein, warum tun sich Handwerksbetriebe mit dem persönlichen Sicherheitsverhalten ihrer Angestellten so schwer?
Prof. Dr. Christoph Bördlein: Die Betriebe sind sich der Probleme durchaus bewusst, die aus riskantem Verhalten ihrer Mitarbeiter resultieren. Die Bedeutung des Verhaltens für die Arbeitssicherheit ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten deutlich größer geworden. Das hängt vor allem mit verbesserter Sicherheitstechnik und besseren Regelungen im Arbeitsschutz zusammen. Dadurch ist bei Unfällen der Anteil verhaltensbedingter Ursachen – verschiedenen Studien zufolge – auf bis zu 96 Prozent gestiegen. In der Regel versuchen die Betriebe, die Mitarbeiter durch eine Mischung aus Belehrung und Druck zum sicheren Arbeiten zu motivieren, obwohl sich dieser Ansatz als nicht wirklich erfolgreich erwiesen hat.
Was verbirgt sich hinter dem Begriff der verhaltensorientierten Arbeitssicherheit?
Prof. Bördlein: Unter verhaltensorientierter Arbeitssicherheit (Behavior Based Safety, BBS) versteht man wissenschaftlich fundierte Methoden, die das menschliche Verhalten in Bezug auf die Arbeitssicherheit beeinflussen und dabei auf fünf Prinzipien setzen:
- die genaue Definition von sicheren Verhaltensweisen
- das Beobachten des Verhaltens in der konkreten Arbeitssituation
- das Feedback für sicheres Arbeiten
- das Setzen von verhaltensbasierten Zielen
- der Einsatz von positiver Verstärkung im Sinne einer Anerkennung und Wertschätzung für sicheres Verhalten
Sicheres Verhalten ist oft etwas aufwendiger als die riskante Variante. Bei BBS erfahren die Mitarbeiter, dass der zusätzliche Aufwand, den sie für das sichere Arbeiten betreiben, wertgeschätzt wird. Auch riskantes Verhalten wird angesprochen, doch geschieht dies immer auf der konstruktiven Ebene.
Sind auch Gerüste als temporäre Montagesysteme prinzipiell unfallgefährdet?
Prof. Bördlein: Die einzig ungefährliche Arbeit ist keine Arbeit. Selbstverständlich sind auch Gerüste und die Höhenarbeit im Allgemeinen unfallgefährdet. Der Umstand, dass wir es hier mit einem temporären und sich immer wieder wandelnden Arbeitsumfeld zu tun haben, trägt zusätzlich dazu bei, dass der Arbeitsschutz in diesem Bereich noch bedeutsamer ist. Technischer Arbeitsschutz und verhaltensorientierte Arbeitssicherheit müssen hier Hand in Hand gehen. Die Technik muss so gestaltet sein, dass sie das sichere Verhalten erleichtert. Ist der Einbau von Sicherheitsmerkmalen am Gerüst mit einem zusätzlichen Arbeitsaufwand verbunden, so ist dies aus Sicht der verhaltensorientierten Arbeitssicherheit riskant. Lässt sich das Gerüst jedoch gar nicht anders als sicher aufbauen, entfällt dieses Risiko.
Es gab 2018 rund 219 000 Baugenehmigungen im Hochbau. Wie sehen Sie den Praxiseffekt der immer wieder erhobenen Forderung nach mehr Kontrollen?
Prof. Bördlein: Kontrollen sind wirksam, aber nur insoweit sie auch stattfinden. Ist dies nur selten der Fall, bleibt ihre Wirkung relativ gering. Aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht führt Kontrolle zudem zu Vermeidungsverhalten: Man tut das, was nötig ist, um bei der Kontrolle gut dazustehen. Was wir aber wollen, sind Mitarbeiter, die selbstständig an die Sicherheit denken und nicht nur deshalb, weil sie kontrolliert werden.
Über die technische Arbeitssicherheit schreiben Sie, dass diese unter bestimmten Umständen eher vermieden wird. Warum?
Prof. Bördlein: Wenn die technische Arbeitssicherheit zu einem Mehraufwand führt, besteht das Risiko, dass die Mitarbeiter diese umgehen, um einfacher arbeiten zu können. Ein Beispiel: Viele Maschinen sind mit Lichtschranken ausgestattet, die bewirken, dass die ganze Anlage herunterfährt, wenn ein Mitarbeiter in die Maschine greift. In einer Firma hat man mir eine Konstruktion gezeigt, die ein Mitarbeiter gebastelt hatte, um die Lichtschranke zu umgehen. Auf diese Weise konnte er in die laufende Maschine greifen, um ein verkantetes Teil herauszuholen, ohne dass die ganze Maschine herunterfuhr. Dieses Beispiel, zeigt, dass Menschen einigen Aufwand betreiben, um sich das Arbeiten, das durch die Sicherheitstechnik umständlicher gemacht wurde, wieder zu erleichtern.
Der Nutzen für die eigene Sicherheit ist für den Mitarbeiter nicht konkret erlebbar, wohl aber die Einschränkung, die unmittelbar aus der Sicherheitstechnik resultiert. Gute Sicherheitstechnik sollte so konstruiert sein, dass sie den Faktor „Mensch“ berücksichtigt und das Arbeiten so wenig umständlich wie möglich macht.
Herr Bördlein, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führt Dr.-Ing. Klaus Fockenberg.