Das finnische Unternehmen Sievi zählt zu den führenden Herstellern von Sicherheits- und Berufsschuhen in Nordeuropa. Gisbert Thelemann, Managing Director von Sievi in Deutschland, weiß nicht nur alles über die aktuellen Schuhe und Stiefel, sondern kennt auch die leicht skurrile Geschichte der Unternehmensgründung, räumt mit einigen Vorurteilen zu Finnland auf und erklärt, was es mit dem finnischen „Längenmaß“ Poronkusema auf sich hat.
Bereits seit 1991 ist Sievi auch auf dem deutschen Markt unterwegs, und seit mittlerweile acht Jahren bildet Gisbert Thelemann die Speerspitze von Sievi für den deutschsprachigen Raum, also neben Deutschland auch noch Österreich und die Schweiz. Von Anfang an begeisterte ihn, dass die Eigentümer selbst mitarbeiten. „Das habe ich von Anfang an zu lieben und schätzen gelernt, weil die Entscheidungswege relativ kurz sind“, sagt Gisbert Thelemann. Zudem war er regelrecht überwältigt von dem ersten Eindruck, den die Inhaberfamilie bei ihm hinterließ. „Ich habe in der Vergangenheit noch nie Menschen kennengelernt, die so stolz waren auf das, was sie bisher geschaffen haben, auf die Marke, auf das, was sie produzieren, wie sie sich nach außen darstellen. Das hat mich schon sehr beeindruckt.“
Skurrile Entstehungsgeschichte
Beeindruckend ist auch die definitiv skurrile Entstehungsgeschichte des finnischen Familienunternehmens. Lauri Jokinen war ein einfacher Geschäftsmann und arbeitete 1951 als Taxifahrer. Mit Schuhen hatte er zunächst nichts zu schaffen, aber geschäftstüchtig war er. So hatte er sich überlegt, wenn er als Taxifahrer seine Kunden schon im Auto hat, sie irgendwo hin fährt, ist das ja zunächst verlorene Zeit. In dieser Zeit ließe sich ja theoretisch auch etwas verkaufen, schließlich kann der Kunde ja nicht weg. Und so verkaufte Jokinen zunächst Radios und Fernseher im Taxi. Irgendwann hatte er einen Kunden, der sagte: „Das ist alles schön und gut, was du hier machst. Aber ich brauche weder ein Radio noch einen Fernseher. Ich bräuchte Arbeitsschuhe.“ Dann hat sich Jokinen gedacht, dann mache ich das doch einfach. Er stellte vier Schuhmachermeister ein und fing an, Schuhe zu produzieren. Im Jahre 1964 verlangte der Markt nicht mehr nur Arbeitsschuhe, sondern Arbeitsschuhe mit einer Zehenschutzkappe, also einen klassischen Sicherheitsschuh. Seitdem produziert Sievi Sicherheitsschuhe und das Ganze ist gewachsen.
Dass auch heute noch in Finnland die Uhren etwas anders ticken, manches etwas anders läuft als wir es in Mitteleuropa kennen, kann Gisbert Thelemann bestätigen. Das hängt sicher auch mit der extremen Lage des Landes zusammen und den damit verbundenen Bedingungen. Die Hälfte des Jahres herrscht dort Dunkelheit und die andere Hälfte ist quasi helles Tageslicht. Klar gibt es auch in Finnland Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Allerdings spielen sich Frühling und Herbst – salopp formuliert – jeweils in ein paar Stunden ab. „Wenn man das mal selber erlebt hat, wie es ist, dass man wie so ein Duracell-Hase herumläuft, weil es 24 Stunden taghell ist und der Körper signalisiert: Du brauchst nicht zu schlafen, es ist ja noch hell, oder im Winter, wenn es eben 24 Stunden am Tag dunkel ist und der Körper sagt: Nee, jetzt ist noch nicht Zeit aufzustehen. Da läuft man neben sich her und wird gar nicht so richtig fit“, schildert Gisbert Thelemann seine Erfahrung. Und diese Belastung bedeutet eine enorme Herausforderung für Menschen, die in dem Land leben.
Land der weit über 100.000 Seen
Doch passen sich die Finnen diesen Umständen gut an. „Wenn die Sonne scheint, dann sind die Finnen 24 Stunden lang draußen. Dann nutzen Sie das Tageslicht und es findet unheimlich viel draußen statt“, weiß er. Zumal die Sommer auch alles andere als kalt sind. Sommertage mit Temperaturen über 30 Grad sind absolut keine Seltenheit in Finnland. Da Finnland zudem nicht nur das Land der 1000, sondern der weit über 100.000 Seen ist, gibt es dafür im Sommer ein anderes Problem: Mücken. „Es ist definitiv empfehlenswert, im Sommer Mückenspray dabei zu haben“, sagt Gisbert Thelemann, allerdings: „Das Mückenspray, was wir hier kaufen können, wirkt in Finnland nicht. Man sollte eines vor Ort kaufen. Da lebt eine andere Gattung Mücken, die sich da auf Blutsuche begibt“, hat er noch einen Tipp parat.
Hier in Mitteleuropa bekommt man ja häufig diese Rankings präsentiert, dass in Finnland die glücklichsten Menschen leben. „Aber wenn man die Menschen sieht, sehen die gar nicht so glücklich aus“, scherzt Gisbert Thelemann, „also das Glück geht mehr so nach innen.“ Das hat offensichtlich damit zu tun, dass die finnische Bevölkerung relativ weit auseinandergezogen lebt. Über 50 Prozent der Finnen wohnen im südlichen Teil des Landes rund um Helsinki. Doch je weiter man nach Norden kommt, desto spärlicher ist das Land besiedelt. „Das macht diese Menschen auch zu einer besonderen Art Menschen“, so Gisbert Thelemann, „die eben die Natur und ihre Bewegungsfreiheit lieben. Mir kommen die Finnen extrem entspannt vor.“
Wenn er allerdings mit seinen finnischen Kollegen durch Mitteleuropa reist, spürt er entsprechend, wie die Dichte, der Lärm, die Hektik seine Begleiter dann stresst. Die Ruhe, die in Finnland herrscht, ist wohl körperlich spürbar. „Wenn ich da im Hotel bin und öffne das Fenster, höre ich nichts; kein Auto, keinen Zug, kein Flugzeug. Es ist einfach ruhig. Und das strahlen die Menschen aus, eine innerliche Ruhe.“ Das fühle sich im ersten Moment manchmal merkwürdig an, wenn man voller Enthusiasmus und Tatendrang anreise, der Gegenüber hingegen einfach entspannt da sitze. „Sie strahlen einfach Ruhe aus.“ Das sei ansteckend, man kommt dann selber ein bisschen runter und es lässt sich besser nachvollziehen, was Finnen glücklich macht.
Nahezu beängstigende Stille
Die Landschaft, diese Stille, die da herrscht, das kann ja für den Lärm gewohnten Mitteleuropäer auch beängstigend sein. Der kennt es einfach nicht, dass er nichts hört. Wenn man aus so einem industriellen Land wie Deutschland kommt, dann ist das schon eine Umgewöhnung. Aber im Laufe der Zeit hat Gisbert Thelemann gelernt dies alles zu schätzen. Wenn er so zwischen vier und fünf Mal im Jahr in Finnland unterwegs ist, freut er sich jedes Mal, weil ihn diese Reisen „total aus dem Alltag rausholen. Das ist so wie eine Kur, man muss nicht viel reden, kann die Natur genießen, sich mehr auf sich besinnen.“
Zur Natur und Landschaft gehören in Finnland besonders auch die Rentiere. Und von den Rentieren leitet sich auch das „Längenmaß“ Poronkusema ab, „ein Wort, das es nur im finnischen gibt und sich eigentlich nicht eins zu eins übersetzen lässt“, wie Gisbert Thelemann weiß. Poronkusema bedeutet die Wegstrecke, die ein Rentier zurücklegen kann, ohne Wasser zu lassen. Das sind genau 7,5 Kilometer – ein Längenmaß, das es nur in Finnland gibt. „Vergleichbar mit der Elle, die wir früher als Maß genutzt haben“, so Gisbert Thelemann.
Zurück zu Sievi. Das Familienunternehmen steht bei seinen Sicherheits- und Berufsschuhen für höchste Qualitätsansprüche hinsichtlich Arbeitssicherheit, Passform und auch Bequemlichkeit, für die Anwendung neuester Technologien sowie den Einsatz bester Materialien. Zudem wirbt das Familienunternehmen mit dem Slogan „Made in Finland“. Thelemann kann auch erläutern, wie diese entspannte, glückliche und Ruhe ausstrahlende Lebensart mit den hochwertigen Produkten des Herstellers zusammenspielt. Denn diese Lebensart beinhaltet ein Höchstmaß an Wertschätzung für vieles, aber ganz besonders für die Mitmenschen. So sind auch die Umgangsformen mit den Mitarbeitern ganz andere, als man es hierzulande häufig erlebt.
Mitarbeiter sind das höchste Gut
In den skandinavischen Ländern ist laut Gisbert Thelemann der Mitarbeiter das höchste Gut, das ein Unternehmer hat. Und somit bekommt der Mitarbeiter einfach die beste Ausstattung, die es gibt. Ob das Schuhe sind, ob das Bekleidung ist, ob das Handschuhe sind, ob das Augenschutz ist oder Helmschutz, bei der Ausstattung „wird nicht auf den Euro geguckt“, sagt er. Das Denken dahinter ist simpel: Wenn der Mitarbeiter top ausgestattet ist, dann kann er auch Topleistungen bringen.“ Entsprechend gibt es auch ein fortwährendes Streben, immer das Bestmögliche in ein Produkt zu integrieren, um eben das größte Wohlbefinden für den Nutzer zu erzielen. „Dieser Ehrgeiz, dieses Ansinnen hat mich damals auch sehr gereizt, für Sievi tätig zu werden“, gesteht Gisbert Thelemann, „weil das Tugenden sind, die bei uns leider ein bisschen verloren gegangen sind.“
Insofern produziert Sievi bislang auch weiter komplett in Finnland. Tatsächlich hat es intern immer wieder einmal Gedankenspiele gegeben, wie so mancher Wettbewerber zumindest die lohnintensiven Arbeiten ins kostengünstigere Ausland zu verlagern. Fernost hat da zwar nie eine Rolle gespielt, aber um Finnland herum gibt es auch Nationen wie Lettland, in denen die Lohnkosten niedriger sind. Aber das entspricht nicht der Philosophie des Unternehmens und man hat sich dagegen entschieden. Um aber dennoch wettbewerbsfähig für den europäischen Markt produzieren zu können, musste die Produktion extrem effektiv aufgestellt werden. Nur so lassen sich die Premiumprodukte von Sievi auch zu marktgerechten Preisen auf dem europäischen Markt anbieten.
Ein Schuh – 60 Arbeitsschritte
Für die Fertigstellung eines Schuhs können schon einmal bis zu 60 Arbeitsschritte nötig sein. Da wurde angesetzt, diese Abläufe effizienter zu gestalten. Dabei hilft heutzutage auch die Technologie weiter. Da gibt es nun Maschinen die EDV gesteuert per Laser den Zuschnitt übernehmen. Das ist ein Beispiel für viele kleine Schritte, die seitens Sievi nach und nach unternommen wurden, um eben die Produktionskosten zu senken. Und dadurch, das eben „von der Kuh bis zum Schuh“, wie Gisbert Thelemann sagt, alles vor Ort hergestellt wird, ist man seitens Sievi in der Lage, leergelaufene Artikel binnen zwei Wochen nach zu produzieren. „Wir können jederzeit in laufende Prozesse eingreifen. Und das geht nur, weil wir die Produktion vor Ort haben.“
Entsprechend hat Sievi eine hochmoderne Fertigung, die unlängst noch einmal ausgebaut wurde. Jetzt verfügt das Unternehmen über 2,8 ha Produktionsfläche und kann einen theoretischen Tagesspitzensatz in der Produktion von 6500 Paar Schuhen erreichen. Zudem hat das Unternehmen seine Lagerkapazitäten erhöht und hat jetzt 260.000 Paar Schuhe regelmäßig bevorratet. „Über dieses Lager beliefern wir dann ganz Europa“, sagt Gisbert Thelemann.