Auch für Industriekletterer gibt es im Arbeitsalltag eine Helmpflicht. Demzufolge gibt es auch eine umfangreiche Auswahl an Helmen, die den jeweiligen Normen entsprechen und auf die Bedürfnisse der Seilzugangstechniker zugeschnitten sind. Doch lässt sich deren Schutz heute sinnvoll erweitern, wie Thomas Grzybowski, Business Development Manager D/A/CH für den Bereich Safety bei Mips, im Gespräch mit der Redaktion erläutert.
Thomas Grzybowski wird auch auf dem FISAT-Technikseminar im März in Wernigerode ein Referat halten, in dem er sich mit dem Kopfschutz beschäftigt. Denn er weiß, dass bei den wohl meisten Unfällen mit Kopfbeteiligung der Aufprall nicht senkrecht erfolgt, sondern in einem anderen Winkel. Dabei können gefährliche Rotationsbewegungen auf den Kopf einwirken.
Das Mips Safety System bietet im PSA Bereich eine neue technische Möglichkeit zu einer Entschärfung solcher Rotation nachweislich beizutragen: Es ist darauf ausgelegt schädliche Rotationsbewegungen zu reduzieren, die andernfalls auf den Kopf des Trägers übertragen werden könnten. Rotationsbewegungen stellen nämlich eine der Ursachen für Gehirnerschütterungen dar und werden durch schräge bzw. dezentrierte Schläge oder Stöße auf den Kopf verursacht.
Herr Grzybowski, gibt es bereits Helme für Industriekletterer, die mit dem Mips Safety System ausgestattet sind?
Thomas Grzybowski: Tatsächlich sind bereits mit dem Mips Safety System ausgestattete Helme für Industriearbeiter und -kletterer von mehreren Herstellern im hiesigen Handel und somit sofort lieferbar. Aber es handelt sich dabei um eine noch überschaubare Anzahl, im direkten Vergleich zu den zahlreichen Helmmöglichkeiten mit Mips in den USA beispielsweise. Allerdings stehen wir mit Mips mit vielen europäischen Herstellern im intensivem Austausch über eine Integration des Mips Safety Systems in ihre Produkte. Das ist ein Beleg dafür, dass wir nicht nur im Markt angekommen sind, sondern dass das Bewusstsein hinsichtlich eines sinnvollen Kopf-Rotationsschutzes auch hierzulande gewachsen ist.
Müssten nicht alle Helmhersteller bestrebt sein, eine zusätzliche Sicherheit anzubieten? Wieso ist da Überzeugungsarbeit zu leisten?
Grzybowski: Das liegt tatsächlich vor allem daran, dass die aktuellen europäischen Normen im Kopfschutzbereich im Kern sehr, sehr alt sind, und nach diesen richten sich die Helm-Hersteller auch bei ihrer heutigen Helm-Entwicklung. Die EN 397, die Norm für Industrieschutzhelme, wurde im Jahr 1995 definiert. Seither gab es lediglich eine moderate Revision im Jahre 2012, jedoch nicht bezüglich der elementaren Punkte wie etwa der Haupt-Prüfkriterien. Die sind im Prinzip noch genauso wie 1995 beschlossen.
Gehirnerschütterung:
Bei einer Gehirnerschütterung können einige Gehirnfunktionen kurzfristig aussetzen. Typische Anzeichen sind Schwindelgefühle, Benommenheit, Kopfschmerzen und auch Gedächtnislücken. Auch Bewusstlosigkeit, Erbrechen, unklares Sehen oder Sprechen können Anzeichen sein. Die Symptome müssen nicht sofort, sondern können bis zu 48 Stunden nach dem Unfall auftreten.
Und bei Helmen für Industriekletterer?
Grzybowski: Hier kommt die Norm für Bergsteigerhelme zur Anwendung, die auch schon im Jahr 2000 formuliert wurde. Damals hatte man zu Themen wie Erschütterung des Kopfes oder welche präzisen Kräfte bei einem Aufprall auf den Kopf wirken, nur wenige Erkenntnisse und auch kaum Möglichkeiten, diese repetitiv zu messen. Zudem hat sich die Medizin erst später diesem Thema zugewandt. Hirnverletzungen bzw. deren Langzeit-Folgen sind medizinisch noch junge Themen. Insofern wurde die Rotation in den Normen überhaupt nicht behandelt.
Da es aber jetzt bekannt ist, müssten die Helmhersteller doch das Thema gerne aufgreifen?
Grzybowski: Naja, es gibt aber auch Helmhersteller, die sind mit dem Status Quo zufrieden, die kommen damit bestens zurecht. Aber zum Glück ist es tatsächlich die Mehrzahl der Anbieter, die Innovationen aufgeschlossen gegenüber stehen und diese fördern, entsprechend das Thema auch weiter mitentwickeln. Aber es dauert halt seine Zeit, bis es tatsächlich aufgegriffen und dann auch umgesetzt wird. Die Implementierung eines passenden Mips Safety Systems setzt dazu ein umfangreiches mehrstufiges Test-Verfahren voraus, welches ebenso seine Zeit braucht.
Vielleicht steigt dann ja auch wieder ein wenig die Akzeptanz und es werden mehr Helme getragen.
Grzybowski: Es wäre zu wünschen. Im Freizeitbereich nutzen viele gerne die beste Ausrüstung, aber bei der täglichen Arbeit kommen letztlich häufig „Basis“-Lösungen zum Einsatz. Auch bei der PSA sollte jeder Einzelne für seinen persönlichen Schutz einen Schritt weiter gehen können und nicht nur ein Schutz-Produkt zur Verfügung gestellt bekommen, welches einfach nur die Normen erfüllt, dazu mit unbekanntem konkreten Ergebnis. Denn letztlich macht die Physik keinen Unterschied, ob jemand beim Bergsteigen, Ski- oder Radfahren einen Unfall hat oder bei der Arbeit – die physikalischen Kräfte, die auf den Kopf einwirken, sind häufig absolut vergleichbar.
Herr Grzybowski, vielen Dank für das aufklärende Gespräch.
Mit Thomas Grzybowski sprach Chefredakteur Camillo F. Kluge
Thomas Grzybowski
… ist Business Development Manager D/A/CH – Safety beim schwedischen Unternehmen Mips. Seit über 10 Jahren beschäftigt er sich beruflich bereits mit Kopfschutz und ist engagierter Mitarbeiter bei der Fortentwicklung von Helmnormen im DIN Institut.