Was hat eine Kabelummantelung mit dem weltweit bekannten Unternehmen W. L. Gore Associates und der Marke Gore-Tex zu tun? Ganz einfach: Der Legende nach sah Wilbert (Bill) L. Gore in dem Polymer Polytetrafluorethylen – kurz PTFE – beträchtliches, noch unerschlossenes Potenzial. Das erste Produkt von Gore, ein PTFE-isoliertes Flachkabel, wurde vielfältig eingesetzt: Von unterirdischen Wasserleitungen bis hin zu den Backplanes einiger der weltweit ersten Supercomputer. Die Redaktion war zu Gast in der Europazentrale von Gore und bekam einen Einblick, wie rasant sich das Unternehmen in den nicht einmal 70 Jahren seines Bestehens entwickelt hat.
Dass es manchmal von großer Bedeutung ist, wenn Kinder den Enthusiasmus und die Leidenschaft für den Beruf der Eltern weiterleben, zeigt das Beispiel Gore. Denn der entscheidende Durchbruch gelang Bills Sohn Bob, der das expandierte Polytetrafluorethylen (ePTFE) durch schnelles Recken von PTFE unter bestimmten Bedingungen entwickelte. So entstand das extrem robuste mikroporöse Material, das heute bei Gore Fabrics unter der Marke Gore-Tex weltweit in unterschiedlichsten Produkten eingesetzt wird.
Bis heute ist die Basis vieler Gore-Entwicklung immer PTFE oder eben ePTFE, „ein Material, das beispielsweise bei medizinischen Produkten vom Körper gut angenommen wird“, sagt Norbert Selle aus der globalen PR-Abteilung des Unternehmens. So werden Entwicklungen von Gore heute in vielen Industrien eingesetzt. „Gore wollte ein Unternehmen schaffen, in dem sich die Mitarbeiter entfalten und mit ihren Ideen einbringen können. Das mündet eben darin, dass unser Werkstoff in unterschiedlichsten Produkten zu finden ist“, sagt Selle, „von Dudelsackbälgen über medizinische Implantate oder Bekleidung für Mount Everest Expeditionen bis hin zu elektronischen Kabeln, die Signale zum Mars übertragen.“
Trends entwickeln und setzen
Organisatorisch ist Gore in drei Divisionen unterteilt: Gore Fabrics mit der Marke Gore-Tex, Gore Medical für Medizinprodukte und Gore Performance Solutions für industrielle Anwendungen. Gore Fabrics entwickelt und produziert zum einen Bekleidungstechnologien für professionelle Endanwender wie Feuerwehrleute, Polizeikräfte, militärische Einsatzkräfte, technische und medizinische Rettungskräfte sowie Arbeitskräfte im fachlich-technischen Bereich. „Wir liefern Materialien im Professional Bereich und versuchen auch stets mit unseren Partnern neue Trends zu entwickeln und zu setzen.“ Bestes Beispiel für einen solchen Trend war da zuletzt die „Extraguard“-Obermaterialtechnologie, die gleich von mehreren der großen Sicherheitsschuh-Spezialisten genutzt und auch auf der A+A im vergangenen Herbst präsentiert wurde. Der zweite große Bereich von Gore Fabrics sind die bekannten Materialien für Konsumenten, beispielsweise für Outdoor- und Lifestyle-Bekleidung.
Ein wesentlicher Faktor bei sämtlichen Entwicklungen, die Gore forciert, lautet dabei Haltbarkeit. „Bei uns geht es sehr stark um die Langlebigkeit von Produkten“, so Selle, „denn Haltbarkeit ist Nachhaltigkeit.“ Da auch Recycling zur Nachhaltigkeit beiträgt, ist die Kombination natürlich optimal. So darf die Deutsche Post als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit bezeichnet werden – nicht nur wegen der E-Autos, die immer mehr eingesetzt werden. „Die Deutsche Post ist einer unserer größten Kunden, für den wir recycelte Textilien gemeinsam mit der Gore-Tex Membrane liefern“, verrät Selle. „Uns ist es wichtig, unseren Umwelteinfluss so gering wie möglich zu halten“, ergänzt Leonhard Schlichting, Commercial Leader EMEA bei Gore.
Materiallieferant mit Produktversprechen
Zwei Marktsegmente gibt es bei Gore Fabrics, die sich mit Arbeitsschutz-Themen befassen. Da ist „Defense“, seitens der alle NATO-Armeen ausgestattet werden, angefangen von Regenschutz bis hin zu Flammschutz. Die zweite Business-Unit „Safety“ stellt Materialien für Workwear, Polizei sowie Feuerwehr und Rettungsdienste weltweit her.
Das Besondere dabei ist aber, dass Gore eine „Ingredient Brand“ ist, also sozusagen ein Materiallieferant. Und dennoch gibt der Zulieferer Gore „ein Versprechen für das jeweilige Produkt ab“, wie Schlichting betont. „Wir sind ein Komponentenhersteller, haben aber schon immer auch den Endkunden direkt angesprochen“, sagt er. Das bedeutet allerdings auch, dass die finalen Produkte „umfangreiche Tests durchlaufen und bestehen müssen – und seien es nur neue Styles. Alles wird bei uns ausgiebig getestet und manche Produkte fallen tatsächlich auch im ersten Durchlauf durch“, so Schlichting, „denn es ist sehr schwer, ein Produkt wasserdicht zu bekommen.“
Besonders gut gelungen ist das zuletzt mit dem bereits erwähnten „Extraguard“ Obermaterial für Schuhe. „Da haben wir den Wunsch nach einem leichten Lederschuh umgesetzt, ganz ohne Leder“, meint Helmut Klug, Spezialist für Arbeitsschuhe bei Gore, mit einem leichten Augenzwinkern. Dann gibt Klug auch noch ein paar Geheimnisse preis, wie es Gore gelingt, ihre teilweise intensiv beanspruchten Produkte wie „Extraguard“ Obermaterial wasserdicht zu bekommen. „Wir arbeiten mit viel weniger Nähten und die verbliebenen können dann versiegelt werden.“ Beim Arbeitsschuh gibt es neben der Schnürung durch den Zehenschutz eine weitere Herausforderung, denn „Zehenschutz und Schnürung müssen hinterlegt werden, und zwar so, dass die Membran nicht zerstört wird“, sagt Klug. Nur so gelingt es, den Schuh einerseits gegen eindringendes Wasser resistent, andererseits aber atmungsaktiv und Schweißfüßen vorbeugend zu halten.
Leichter und bequemer Flammschutz
Mit Wasserdichtigkeit allein sind die Kompetenzen von Gore längst nicht erschöpft. „Wir haben uns Gedanken gemacht, wie wir aus einer Wetterschutzjacke auch eine Flammschutzjacke entwickeln können“, berichtet Christophe Didelot, Produktspezialist im Unternehmen. Dabei war den Entwicklern ganz besonders wichtig, dass die Jacke trotz der schützenden Wirkung nicht nur bequem zu tragen ist, sondern auch möglichst leicht bleibt. „Früher galt häufig, je schwerer eine Jacke ist, desto schwerer ist sie auch entflammbar“, so Didelot, „mit unserer ,Pyrad`-Technologie treten wir den Gegenbeweis an.“
Die ,Pyrad`-Technologie reagiert erst, wenn die tatsächliche Gefahr auftritt“, sagt Miguel Calixto, Produktspezialist bei Gore. „Erst wenn die Flamme oder der Störlichtbogen auf die Oberfläche trifft, löst es aus – ähnlich einem Airbag im Auto – und erstickt umgehend die entstandene Flamme.“ Vorteil für den Nutzer: Die Technik ermöglicht ihm, sicher und dennoch komfortabel und mit einem hohen Maß an Bewegungsfreiheit arbeiten zu können. Das Bild mit dem Airbag ist gar nicht so weit hergeholt. „,Pyrad` basiert auf Graphit“, erklärt Didelot. Unzählige kleine Punkte bilden auf dem Oberstoff das Depot für den Ernstfall, der Stoff bleibt in der Alltagsnutzung leicht und flexibel. „Werden die Graphitpunkte durch eine Stichflamme oder einen Störlichtbogen plötzlich stark erhitzt, reagieren sie explosionsartig zu einer stabilen lückenlosen Verkohlungsschicht, die den Träger schützt“, so Didelot. „Durch das Aufplatzen wird der gewaltige Hitzefluss eines Störlichtbogens wirksam gehemmt.“
Damit können nun erstmals leichte Arbeits- oder Rettungsanzüge für den täglichen Einsatz gefertigt werden, die indoor ebenso angenehm zu tragen sind wie an warmen trockenen Tagen im Freien. So wird der quälende Hitzestress bei der Arbeit minimiert und im Ernstfall dennoch mit der Schutzklasse 2 die höchste Sicherheit gegen Störlichtbogen oder Stichflammen geboten. Das leichte Textil erhöht die Atmungsaktivität und Flexibilität der Bekleidung und bietet auch den Vorteil, dass sich spezifisch designte Schutzanzüge leichter fertigen lassen.
Viele umfangreiche Tests
Um solche Leistungen mit Stoffen und Materialien zu erzielen, bedarf es neben einer pfiffigen und kreativen Entwicklungsabteilung auch vieler umfangreicher Tests. In Putzbrunn findet sich daher auch ein großes Prüflabor „Neben all den unterschiedlichen funktionalen Aspekten wird hier unter anderem die Farbbeständigkeit nach vielen Wäschen geprüft“, erklärt Lilly Rieger aus dem Prüflabor mit Blick auf die Vielzahl an laufenden Waschmaschinen. Grundsätzlich wird hier alles getestet, was für Gore relevant ist, von Wasserdichtigkeit bis eben zum Flammschutz. „Wir lassen viele Testgeräte speziell nach unseren Vorgaben bauen, um sehr präzise messen zu können. Ziel ist immer, verlässlich zu belegen, dass wir die Anforderungen der Normen erfüllen oder gar übertreffen“, erklärt sie. Und die eigenen Prüfungen, so Lilly Rieger, seien sehr umfangreich, würden zumeist deutlich über die Normanforderungen hinausgehen. „Das scheint vielleicht manchmal überdimensioniert“, gesteht sie, aber „wir geben ein langlebiges Leistungsversprechen und können das somit auch halten.“
Im Prüflabor werden zwar vorrangig die eigenen Materialien vor dem Verarbeiten getestet, aber auch verarbeitete Produkte der Partner finden wieder den Weg nach Putzbrunn, um auf das Leistungsversprechen hin getestet zu werden. Dabei kommt auch der Regenturm zum Einsatz, in dem sich wasserdichte Produkte wie beispielsweise Wetterschutzkleidung bewähren müssen. „Es kommt nicht allein auf den Stoff an, sondern die Details sind wichtig. Nähte und Reißverschlüsse zum Beispiel dürfen auch kein Wasser durchlassen“, erläutert Sujith Radhakrishnan, der gerade einen Regenschutz im Turm getestet hat. „Denn wo Gore-Tex drauf steht gilt unser Versprechen: Wir halten euch trocken.“
Als „Komfortlabor“ bezeichnet Anna West ihre Klimakammer, denn hier werden „Faktoren, die als unbequem empfunden werden, identifiziert und Lösungen entwickelt, wie sich diese minimieren oder entfernen lassen.“ Denn letztlich soll der Verbraucher eine gute Erfahrung haben mit dem Produkt, in dem Gore-Tex Technologien stecken. Daher wird in unterschiedlichsten Bedingungen getestet. Die Klimakammer ist ideal dafür, denn hier lassen sich bis zu
95 Prozent der klimatischen Bedingungen und des Wetters auf der Erde simulieren. Dazu gehören extreme Hitze genauso wie Kälte, hohe Luftfeuchtigkeit oder starker Wind. Und das Laufband steht nicht da, um das Dessert der Mittagspause abzutrainieren, sondern hier werden die Produkte und vor allem ihre Funktionalität in Aktion getestet. „Wir arbeiten mit unseren eigenen Materialien genauso wie mit Prototypen und fertigen Styles unserer Kunden“, sagt Anna West.
Entwickeln und Kunden trainieren
Das Garment Center ist eine Art Schulungsraum für Kunden. „Wir entwickeln hier einerseits zwar Konzepte, aber insbesondere trainieren wir hier unsere Kunden, wie sie unsere Produkte korrekt weiterverarbeiten“, erklärt Susanne Wisbrun. Insbesondere für die Schnittmacher der Hersteller ist diese Unterweisung elementar, denn „hier lernen sie, wie unsere Laminate optimal verarbeitet werden.“ Bei den Konzepten hat sie auch ein gutes Beispiel parat. Vor einigen Jahren haben wir ein 12-teiliges, aufeinander abgestimmtes Bekleidungskonzept für die Streifenpolizei in unterschiedlichen Klimazonen entwickelt. Damit können die Einkäufer der Polizei in den jeweiligen Ländern durch geschickte Kombination der einzelnen Elemente unterschiedlichste Wetterszenarien mit weniger Bekleidungsteilen abdecken.“
Angesichts des beeindruckenden Aufwands, der seitens W. L. Gore betrieben wird, um sicherzustellen, dass die Produkte auch die jeweiligen Normen erfüllen oder übertreffen, kann man sich als Verbraucher wohl guten Gewissens darauf verlassen, dass der Zulieferer Gore dafür sorgt, dass seine Produktversprechen gehalten werden.
Von Camillo F. Kluge