Das Unternehmen Atlas zählt mit jährlich über 2,7 Millionen Paar produzierten Sicherheitsschuhen zu den führenden Herstellern in Europa. An dem Produktionsstandort in Dortmund werden jährlich über 2,7 Millionen Paar Sicherheitsschuhe gefertigt. Dabei beschäftigt sich das Unternehmen bereits seit Jahren auch mit der Fußgesundheit und wird dabei vom Unfallchirurg, Orthopäden und Revier-Doc Matthias Manke unterstützt, der im Interview zum Thema Fußgesundheit Rede und Antwort steht.

Unsere Füße tragen uns im Laufe eines Lebens durchschnittlich viermal um die Welt. Der Unfallchirurg und Fußorthopäde Dr. med. Matthias Manke ist Autor des Buches „Leichtfüßig: Was Füße über unsere Gesundheit verraten“. Er setzt sich bei Atlas dafür ein, das Thema Fußgesundheit stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Denn mit einer intensiveren Beachtung kann zahlreichen Gesundheitsproblemen, Schmerzen und Arbeitseinschränkungen vorgebeugt werden. Im Interview gibt er Auskunft, was Händler in der Beratung rund um Fußgesundheit wissen müssen.
Herr Dr. Manke, alle klagen über Nacken-, Rücken- oder Knieschmerzen. Von Fußbeschwerden hört man selten. Warum sollte uns das Thema Ihrer Ansicht nach trotzdem beschäftigen?
Matthias Manke: Weil der Fuß meiner Meinung nach das am meisten unterschätzte Körperteil ist. Man muss sich das mal vor Augen führen: Die Füße bilden das Fundament unseres Körpers. Wie der Sockel eines Wolkenkratzers stellen sie sicher, dass alle übergeordneten Strukturen im Gleichgewicht bleiben. Dabei müssen sie nicht nur Gewicht tragen, sondern zusätzlich auch noch dynamisch sein, sie bewegen uns von A nach B. Bei Arbeitern Hunderte Male am Tag. Trotzdem würdigt das niemand. Unsere Füße leisten unglaublich viel, aber meine Frage ist: Was leisten wir für unsere Füße?
Was müsste man aus Ihrer Sicht denn für die Füße leisten?
Manke: Wir sollten unserer Fußstatik dringend die Aufmerksamkeit schenken, die sie verdient. Von ihr hängen zahlreiche andere Bereiche unseres Körpers ab, vor allem auch die Beschwerden. Ein Senk-, Spreiz- oder Knickfuß kann zum Beispiel eine funktionelle Beinlängenveränderung verursachen. Wenn das Fußgewölbe abflacht und das Becken schiefsteht, versucht die Wirbelsäule, im Lenden-, Brust- oder Halswirbelsäulen-Bereich auszugleichen. Dadurch ändert sich der Zug an den Muskeln und Rücken- oder Nackenschmerzen entstehen. Gleichzeitig kommt es zu einem vermehrten Verschleiß an den Gelenken und, wenn das Gewicht nicht optimal verteilt wird, zu einem frühzeitigen Verschleiß des Gelenkknorpels. Mit anderen Worten: Der Gelenkverschleiß – Arthrose – tritt früher ein. Die Schmerzen äußern sich häufig also ganz woanders, aber Schuld sind die Füße. Oder vielmehr: deren Verkümmerung.
Was verraten uns die Füße bzw. die Fußgesundheit noch?
Manke: Für den medizinischen Profi spiegelt sich an den Füßen der komplette Gesundheitszustand wider. Schwellungen an Unterschenkeln und Füßen – sogenannte Lymphödeme – können ein Zeichen für ein geschwächtes Herz-Kreislauf-System sein, insbesondere, wenn es zu bräunlichen Ablagerungen kommt. Schwellungen in Gelenkbereichen können einen Hinweis auf ein akutes oder chronisches Gelenkproblem geben. Ist das Empfinden an den Füßen abgeschwächt, kann dies auf ein Nervenleiden hindeuten. Aus all diesen Gründen wird insbesondere für körperlich Arbeitende eine regelmäßige Betrachtung der Füße empfohlen. Und wenn man etwas Auffälliges entdeckt, bitte nicht ignorieren, sondern sofort vom Orthopäden abklären lassen.
Angenommen, ein Kunde hätte seine Füße genauer betrachtet und vermutet einen Senkfuß. Wie entsteht der und was kann man dagegen tun?
Manke: Ganz klar: Fuß-Gymnastik. Hier hilft nur regelmäßiges Training. Unsere Füße sind hochkomplex konstruiert. 26 Knochen, 33 Gelenke, mehr als 100 Bänder und über 200 Sehnen machen sie zu einem anatomischen Meisterwerk. Beim Blick auf den Fuß sollte Händlern etwas Entscheidendes auffallen: Im hinteren Abschnitt liegen die Knochen übereinander, im mittleren und vorderen Bereich dagegen nebeneinander. Dadurch entsteht auf der Innenseite des Fußes ein ausgeprägtes Längsgewölbe und im hinteren Mittelfuß ein Quergewölbe. Dank dieser Form liegen gesunde Füße niemals mit der gesamten Fläche auf – vorausgesetzt, die Muskeln werden ausreichend beansprucht oder trainiert. Tun wir das nicht, flacht das Fußgewölbe ab. Knochen und Bänder allein können die Fußform langfristig nämlich nicht stabilisieren. Bei fast jedem kommt es dann zu Fußveränderungen:
- Sinkt das Quergewölbe, entsteht der Spreizfuß.
- Sinkt das Längsgewölbe ein, entsteht der Senkfuß.
- Liegt gar keine Wölbung vor, besteht der Plattfuß.
- Bei Stabilitätsverlust im Sprunggelenk knickt der Fuß ab und es besteht ein Knickfuß.
Oft zeigen sich auch zwei bis drei Fußveränderungen zugleich.
Die Fußmuskulatur muss also trainiert werden. Wie funktioniert das genau? Der typische Igelball?
Manke: Leider nicht. Der Igelball ist vielleicht angenehm, bringt aber überhaupt nichts. Wer im Fitnessstudio seinen Bizeps trainieren will, würde schließlich auch nicht mit einem Ball über die Haut rollen, sondern den Muskel kontrahieren. Das gilt auch für die Füße. Bei der Ansteuerungsübung hebt man abwechselnd die große Zehe und die übrigen Zehen nach oben. Wer diese Übung schafft, darf mit der Stärkungsübung anfangen. Dabei stellen wir uns drei Eckpunkte vor: die große Zehe, die kleinste Zehe und die Ferse. Man stellt sich hin – zum Beispiel abends zehn Minuten vor die Couch – und muss diese drei Punkte zusammenziehen. Das heißt, den Impuls geben, der das Fersengewölbe und das Längsgewölbe anspannt. Vom Gefühl her zieht man das Gewölbe unter dem Fuß nach oben. Es ist die gleiche Übung wie beim Barfußlaufen, wobei man sich mit dem Fuß abstößt. Beide Übungen brauchen Zeit, bis sie perfekt gelingen, vier bis fünf Wochen sollte man sich geben. Auf andere Fußgymnastik-Techniken wie den Igelball, das Stehen auf den Zehenspitzen, Dehnen oder Wärmebehandlungen empfehle ich zu verzichten. Das sind symptomatische Therapien, die für den Moment helfen, aber nicht langfristig.
Bringen Einlegesohlen etwas?
Manke: Diese Frage höre ich als Fußorthopäde sehr häufig und habe dazu eine klare Meinung: Ja. Eine individuelle Einlegesohle ist immer dann sinnvoll, wenn kein regelmäßiges Fußmuskel-Training erfolgt. Hier ist die Argumentation für den Berater im Geschäft: Wird der Fuß im Schuh permanent überdehnt und die Muskelaktivität durch die Begrenzung des Schuhs ruhiggestellt, erschlaffen die Muskeln, die das Fußgewölbe stützen sollen. Längs- und Quergewölbe flachen ab. So entwickelt heutzutage fast jeder eine Fußfehlstellung. Eine Einlegesohle oder Einlage kann verhindern, dass der Fuß irgendwann nur noch platt auf dem Boden aufliegt, indem sie ihn unterfüttert.
Also sind orthopädische Einlagen in Arbeitsschuhen das Geheimnis?
Manke: Es muss nicht immer gleich eine orthopädische Sohle sein. Gerade für die Menschen, die noch keine Beschwerden haben, eignet sich eine semi-orthopädische sehr gut: Die Fit Insole von Atlas beispielsweise wird mittels Smart Technology an den individuellen Footprint maßangepasst. Mithilfe eines speziellen Hitze-Kälte-Verfahrens wird die Sohle von unten gegen den Fuß gebogen und erhärtet, sodass sie das Gewölbe stützt – und das innerhalb von nur vier Minuten. Ein Gang in den stationären Handel, der über eine flowmould-Station verfügt, kann sich also auszahlen. Gesundheitsprävention ist kaum irgendwo so wichtig wie bei Füßen, die den Großteil des Tages in Sicherheitsschuhen stecken.
Was ist für Händler zu tun, deren Kunden bereits mit einer ausgeprägten Fußfehlstellung ins Geschäft kommen?
Manke: Füße, die bereits eine deutliche Fehlstellung zeigen, brauchen auf jeden Fall orthopädische Unterstützung. Ganz wichtig ist hier: Niemals einfach die orthopädischen Einlagen aus den Alltagsschuhen in die Arbeitsschuhe stecken. Nutzt ein Angestellter gewöhnliche, nicht-zertifizierte orthopädische Einlagen ohne Absprache in seinen Sicherheitsschuhen, ist das nicht nur ein Verstoß gegen das Arbeitsschutzgesetz und die Unfallverhütungsvorschriften. Hierfür können Betrieb und Angestellter sogar haftbar gemacht werden. Erleidet der Kollege dann auch noch einen Unfall in seinen Schuhen, erlischt mit Pech auch der Versicherungsschutz, und das Unternehmen bleibt auf seinen Kosten sitzen. Hier kann eine kleine Ursache horrende Konsequenzen nach sich ziehen.
Aber deshalb können die Mitarbeitenden doch nicht auf orthopädische Versorgung verzichten?
Manke: Nein, auf keinen Fall. Der Fußschutz gehört gemäß einer Entscheidung des EU-Rates im Rahmen der PSA-Verordnung EU 2016/425 der Risikokategorie II an. Die Verordnung verpflichtet Unternehmen, ihrem Team PSA zur Verfügung zu stellen, die den Anforderungen der Risikokategorie II entspricht. Dies inkludiert, dass Sicherheitsschuhe CE-zertifiziert sein und deren Konformitätsbewertungen durch eine benannte Stelle erfolgt sein müssen. Außerdem zählen Maßnahmen zum orthopädischen Fußschutz dazu. Im Klartext heißt das: Unternehmen sind nicht nur aus moralischen Gründen dazu verpflichtet, Sorge für die orthopädische Fußgesundheit ihrer Mitarbeitenden zu tragen, sondern auch gesetzlich. Das funktioniert beispielsweise mit Get Steps. Das digitale Start-up wurde letztes Jahr von Atlas übernommen und bietet zertifizierte orthopädische Einlagen speziell für Sicherheitsschuhe – für 2.500 Modelle. Das Besondere: Man muss dafür nicht mal ein Sanitätshaus oder einen Orthopäden persönlich aufsuchen. Die Vermessung erfolgt über ein Fußabdruckset, das man nach Hause geschickt bekommt.
Dr. Matthias Manke
Der Unfallchirurg und Fußorthopäde ist Autor des Buches „Leichtfüßig: Was Füße über unsere Gesundheit verraten“.