Es scheppert, es brummt, es kracht, es pfeift – aber ist das alles gleich Lärm? Oder gehört das auf der Baustelle und in der Werkstatt einfach dazu? Klar, Lärm ist in vielen Bereichen des Baus- und Handwerks unvermeidbar. Ertragen müssen Handwerker ihn deswegen noch lange nicht, macht Kevin Oppel, Hörakustiker und Experte rund ums bessere Verstehen, in diesem Fachbeitrag deutlich.
Zunächst einmal stellt sich die Frage, wann spricht man von Lärm? Laut Duden setzt sich Lärm aus „als störend und unangenehm empfundene[n] laute[n], durchdringende[n] Geräusche[n]“ zusammen. Was genau bedeutet aber „störend“ – liegt das nicht im Auge des Betrachters oder besser: im Ohr des betroffenen Arbeiters? Fakt ist: Eine Dauerbelastung ab 85 dB kann bereits zu einer Schädigung führen, erzeugt (Hör-)Stress und kann letztlich krank machen. Aber auch das Hörvermögen selbst wird durch Lärm beeinträchtigt und geschädigt.
Gehörschutz notwendig
Gerade in Bau und Handwerk ist die Lärmgrenze von 85 dB schnell überschritten. Die Berufsgenossenschaft Bau geht exemplarisch von einem Lärmexpositionspegel von 87 dB für Dachdecker, 90 dB für Fassadenbauer, 91 dB für Zimmerer oder nahezu 100 dB für Bauwerksmechaniker aus. Ein Gehörschutz ist bei dauerhaftem Überschreiten eines Grenzwertes von 85 dB oder bei auftretenden Spitzenwerten nicht nur zu empfehlen und unbedingt notwendig, sondern sogar gesetzlich vorgeschrieben. Arbeitgeber sind gemäß § 8 der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (siehe Kasten) dazu verpflichtet, einen entsprechenden persönlichen Gehörschutz zur Verfügung zu stellen und haben Sorge zu tragen, dass dieser auch bestimmungsgemäß verwendet wird.
§ 8 Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung
- Werden die unteren Auslösewerte […] nicht eingehalten, hat der Arbeitgeber den Beschäftigten einen geeigneten persönlichen Gehörschutz zur Verfügung zu stellen, der den Anforderungen nach Absatz 2 genügt.
- Der persönliche Gehörschutz ist vom Arbeitgeber so auszuwählen, dass durch seine Anwendung die Gefährdung des Gehörs beseitigt oder auf ein Minimum verringert wird. Dabei muss unter Einbeziehung der dämmenden Wirkung des Gehörschutzes sichergestellt werden, dass der auf das Gehör des Beschäftigten einwirkende Lärm die maximal zulässigen Expositionswerte […] nicht überschreitet.
- Erreicht oder überschreitet die Lärmexposition am Arbeitsplatz einen der oberen Auslösewerte […], hat der Arbeitgeber dafür Sorge zu tragen, dass die Beschäftigten den persönlichen Ge-
hörschutz bestimmungsgemäß verwenden. - Der Zustand des ausgewählten persönlichen Gehörschutzes ist in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. […]
Arbeitnehmer und Arbeitgeber gehen dennoch zu oft nach- oder fahrlässig mit dem Thema Gehörschutz um. Ein Grund dafür liegt in mangelnder Aufklärung darüber und Sensibilisierung dafür, wie Hören funktioniert, wie schnell eine Hörschädigung auftreten kann und welche Folgeerkrankungen drohen: von sozialer Isolation und räumlichen Orientierungsproblemen bis hin zum erhöhten Demenzrisiko.
Nachhaltige irreversible Schädigung
In vielen Arbeitssituationen ist Lärm unvermeidbar. Regelmäßige Ruhepausen – mit möglichst wenigen Geräuscheindrücken – helfen, Erschöpfung und nachhaltiger Hörschädigung vorzubeugen. In lauten Umgebungen sowie an Arbeitsplätzen mit hoher oder sehr hoher Geräuscheinwirkung ist ein entsprechender Gehörschutz unbedingt notwendig. Die dafür verfügbaren technischen Hilfsmittel sind vielfältig und können nach spezifischem Bedarf ausgewählt und angepasst werden. Denn der beste Gehörschutz kann nur dann wirken, wenn er passt und getragen wird.
Grundsätzlich unterscheidet die Arbeitssicherheit dabei drei Arten: von den kleinen, handlichen Gehörschutzstöpseln über die gut abschirmenden Kapselgehörschützer bis zu den individuell angepassten, sogenannten Otoplastiken. Mit einem individuell angepassten Gehörschutz, der den jeweiligen Bedürfnissen gerecht wird, wird das Gehör vor Lärm geschützt, ohne dabei akustisch zu isolieren: Das heißt, Sprache kann weiterhin sehr gut verstanden werden – ein Ablegen des Schutzes bei Absprachen im Team, Zurufen oder Anweisungen auf Baustellen wird so überflüssig und steigert den Nutzerkomfort. Auch Alarmsignale werden nicht unterdrückt, sodass eine etwaige Gefährdung durch Überhören von akustischen Warnungen ausgeschlossen ist. Die individuelle Anpassung des Gehörschutzes ermöglicht ein angenehmes Tragegefühl – das erhöht nicht nur den Komfort dauerhaft, auch die Akzeptanz für den Schutz steigt. Und: Das Gehör bleibt intakt.
Was passiert bei einer Hörschädigung?
Hören ist ein komplexer Vorgang: Damit die eintreffenden Schallwellen genutzt und verarbeitet werden können, müssen sie in Ohr und Gehirn mehrmals transformiert, verstärkt und gefiltert werden. Bereits kurzzeitige ebenso wie dauerhafte Überlastungen des Ohres können zur Schädigung dieses komplexen Gefüges führen. Dies geschieht einerseits bei sehr lauten Geräuschen ab 120 dB, andererseits auch bei einer Dauerbelastung von mehr als 85 dB, die beispielsweise vom Arbeiten mit gängigen Maschinen oder Werkzeugen ausgeht. Die Erklärung: Die im Ohr angesiedelten Haarzellen benötigen bei Stress und Lärm wesentlich mehr Sauerstoff und Stoffwechselprodukte. Angelegte Reserven werden schneller aufgebraucht, aufgrund fehlender Ruhezeiten können diese aber nicht wieder aufgefüllt werden. Folglich werden die Sinneszellen zerstört: Ein irreversibler Prozess. Geschädigte Sinneshärchen können keine Impulse mehr aufnehmen und weitergeben. Es gelangen weniger Geräusche zum Hörfilter, wodurch weniger Impulse verarbeitet werden und sich dessen Leistungsfähigkeit verringert: Das neuronale Netz passt sich den verminderten Reizen an, Nervenzellen gehen verloren und der Verzweigungsgrad reduziert sich. Infolgedessen wird ein Verstehen von Gesprochenem schwerer, bis es gar nicht mehr möglich ist. Töne, Worte, Klänge und Emotionen werden nicht mehr probat entschlüsselt, kurz: Schwerhörigkeit.